Kommentar:Mehr Geld für die Masse

Kommentar: Alexander Hagelüken twittert auch mal gern. Illustration: Bernd Schifferdecker

Alexander Hagelüken twittert auch mal gern. Illustration: Bernd Schifferdecker

Die neue Bundesregierung leitet einen Kurswechsel weg von einer Politik ein, die das Land in Arm und Reich spaltet. Das ist richtig - aber da geht noch mehr.

Von Alexander Hagelüken

Die neue Ampel-Regierung hat noch gar nicht angefangen, doch mancher glaubt es schon zu wissen: Die FDP dominiere die größeren Partner, heißt es. Kein Tempolimit. Keine höhere Spitzensteuer. Keine Vermögensteuer. Nun allerdings haben Ökonomen erstmals den Koalitionsvertrag durchgerechnet, und siehe da: Es läuft vieles so, wie es die FDP gerade nicht will. Das ist gut so.

Was bedeuten die Ampel-Pläne finanziell für jeden Bürger? Das hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung durchleuchtet. Zentrales Ergebnis: Geringverdiener und die untere Mittelschicht sind die Gewinner, inklusive vieler Familien mit Kindern. Menschen mit wenig Geld profitieren mehr als alle anderen Teile der Gesellschaft. Und dafür gibt es gute Gründe. Menschen mit wenig Geld hatten es in den vergangenen Dekaden besonders schwer. Der Trend zu Niedriglohnjobs, die Flucht der Firmen aus Tarifverträgen, der Abbau des Sozialstaats, der Wegfall von Fabrikarbeit durch Globalisierung und Maschinen - all dies trifft sie besonders.

Dass die Ampel Menschen mit wenig Geld besserstellt, ist kein politischer Zufall. Höherer Mindestlohn und Kindergrundsicherung zielen explizit auf diese Gruppen. Das stellt einen Kurswechsel dar. Denn die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte vergrößerten die Spaltung des Landes. Abschaffung der Vermögensteuer, Senkung des Spitzensteuersatzes, weniger Steuern auf Kapitalerträge - davon profitierten vor allem jene, die schon haben. Für viele Geringverdiener und Teile der Mittelschicht dagegen stiegen die Abgaben.

Die Ampel-Regierung versucht diesen Trend zur Ungleichheit zu brechen. Setzt sie ihre Pläne um, dürften Millionen Bürger der Armutsfalle entgehen, in der sie heute gefangen sind. Mit zu wenig Geld für eine anständige Wohnung, eine Urlaubsreise oder Nachhilfe für die Kinder.

An dieser Stelle ist festzuhalten, dass dieser Kurswechsel durch die neue Regierung nicht den Prioritäten der FDP entspricht. Die Liberalen wollten vor allem zusätzliche Steuersenkungen für Gutverdiener. Hätte sich die FDP durchgesetzt, hätten Haushalte ab 100 000 Euro Jahreseinkommen vier bis sechs Mal so stark von Regierungsplänen profitiert wie Menschen mit wenig Geld. Die FDP war sich da im Wahlkampf mit der CDU/CSU einig. Berechnungen zeigen, dass die Pläne einer schwarz-gelben Regierung die soziale Spaltung des Landes vergrößert hätten.

Davon setzt sich die Ampel-Koalition nun deutlich ab - und das liegt an SPD und Grünen, den vermeintlich von der FDP dominierten Parteien. Allerdings sind Pläne das eine, Gesetze das andere. Menschen mit wenig Geld werden erst dann zu Gewinnern des Regierungswechsels, wenn die Ampel ihre Pläne umsetzt. Und das kostet zumindest im Fall der Kindergrundsicherung Geld.

Da könnte es sich rächen, dass die FDP der neuen Regierung eine finanzielle Zwangsjacke anlegt. Keine höhere Spitzensteuer, keine Vermögensteuer, strikte Schuldenbremse: Das bedeutet auch, dass sich manches Vorhaben im rund 180 Seiten dicken Koalitionsvertrag nicht bezahlen lässt. Nun sollten SPD und Grüne darüber wachen, dass nicht genau jene Dinge wie die Kindergrundsicherung kurz und klein gespart werden, die für den Richtungswechsel zu mehr sozialer Gerechtigkeit nötig sind.

Politisch wäre es ohnehin richtig, wenn sich die Ampel nicht nur auf den Koalitionsvertrag fixiert. Denn in ihren Plänen fehlt einiges, was für die soziale Statik der Republik wichtig wäre. Zum Beispiel die Stärkung der Mittelschicht als Ganzes, etwa durch gezielte Steuersenkungen. Die Mitte ist seit den 1990ern geschrumpft. Dabei hat sie enorme Bedeutung, um die Bundesbürger in ihrem anstrengenden Berufsleben motiviert zu halten - als Schicht, zu der alle gehören oder in die sie aufsteigen wollen, weil sie ein Leben im Wohlstand verspricht.

Ja, solche Steuersenkungen stehen nicht im Koalitionsvertrag. Doch ein Politiker sagte mal: "Der Koalitionsvertrag ist keine Bibel." Es war der bisher letzte SPD-Kanzler, Gerhard Schröder. Für Olaf Scholz vielleicht kein schlechtes Vorbild.

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