Kultur in Ebersberg:Eine Reise zum (anderen) Ich

Kultur in Ebersberg: Die Selbstporträts in der Ausstellung des Ebersberger Kunstvereins stoßen bei den Jugendlichen der Montessorischule Niederseeon auf großes Interesse.

Die Selbstporträts in der Ausstellung des Ebersberger Kunstvereins stoßen bei den Jugendlichen der Montessorischule Niederseeon auf großes Interesse.

(Foto: Christian Endt)

Wann setzt man sich mehr mit sich selbst auseinander als während der Teenagerzeit? Eine siebte Klasse aus Niederseeon reflektiert in einer Ausstellung des Ebersberger Kunstvereins das spannende Sujet "Selbstporträt".

Von Merlin Wassermann, Ebersberg

Kaum etwas interessiert den Menschen so sehr wie er selbst. Wir sind das einzige bekannte Lebewesen, das sich im Spiegel erkennt - und dies ab dem sechsten bis 18. Lebensmonat auch fast täglich tut, mal mehr, mal weniger gerne. Der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan ging sogar so weit, in diesem "Spiegelstadium" die zentrale Phase der Herausbildung des "Ich" zu postulieren. In der Kunst ist spätestens seit der Renaissance das Selbstporträt eines der beliebtesten Sujets, wie sich auch an der derzeitigen Kunstausstellung "Selbstporträt" im Kunstverein Ebersberg zeigt (die SZ berichtete). Und schließlich beschäftigen Selfies und deren Verbreitung im Internet Kinder und Jugendliche heute vermutlich ähnlich viel wie ihr eigenes Spiegelbild.

Da lag es für Angelika Oedingen, Beirätin des Kunstvereins Ebersbergs, nahe, Schulklassen in besagte Selbstporträt-Ausstellung einzuladen. Die Einladung angenommen hat eine siebte Klasse aus der Montessorischule Niederseeon. Oedingen wollte den Schülerinnen und Schülern eine Gelegenheit geben, Kunst nicht nur in 2-D auf dem Bildschirm wahrzunehmen. "Das Erleben von Kunst im Museum, vor Ort, ist wesentlich, um sie wirklich zu verstehen. Die Haptik und die unterschiedlichen Formate kommen hier viel besser zur Geltung und wirken dann ganz anders auf die Menschen."

"Es ist jetzt wichtiger denn je, den Blick zu verlangsamen"

Die Ausstellung eigne sich besonders für jüngere Schüler, da diese viel mit sich und den erwähnten Selfies beschäftigt seien, so Oedingen. Das sieht auch die Kunstlehrerin der Klasse, Verena Herber, so, die von der Einladung des Kunstvereins sofort überzeugt war: "Es ist jetzt wichtiger denn je, den Blick zu verlangsamen und den Jugendlichen Kunst nicht nur über das Internet oder den Beamer im Klassenzimmer zugänglich zu machen. Denn erst dann beschäftige ich mich richtig mit einem Werk, erst dann fällt mir etwas Spannendes auf."

Kultur in Ebersberg: So ein Selfie wie dieses von Robert Lang mit dem Titel "Maske - Dorian" würde vermutlich kein Jugendlicher ins Internet stellen.

So ein Selfie wie dieses von Robert Lang mit dem Titel "Maske - Dorian" würde vermutlich kein Jugendlicher ins Internet stellen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Unterricht tastet sich Verena Herber mit ihren Schülern langsam an das Thema Selbstporträt heran, wie sie erzählt: "Die Auseinandersetzung damit ist sensibel und mit vielen Hürden verbunden. Man ist sofort sehr persönlich involviert, wenn man sich selbst zeichnen soll, selbst wenn man es gewöhnt ist, ständig Fotos von sich zu machen." Deswegen würden die Jugendlichen vielleicht erst einmal eine Hand zeichnen, anstatt gleich das Gesicht.

Die Schüler diskutieren fleißig über die Werke und deren jeweilige Vorzüge

Die besagte Schulklasse wuselt während des Gesprächs mit Angelika Oedingen und Verena Herber schon zwischen den Exponaten im Erdgeschoss der Galerie "Alte Brennerei" hin und her, zwischen großen und kleinen Selbstporträts, manche bunt, andere eher düster, abstrakte sind darunter und sehr konkrete, Gemälde und Skulpturen. Ein Spiegel ist natürlich auch dabei, nur ein klassisches Selfie fehlt, doch das scheint die zwölf Schüler nicht zu stören. Sie nähmen selbst ein solches auch "nur ab und zu" auf, sagen sie. Das Interesse an den anderen Werken scheint dafür umso größer, alle finden die Bilder "spannend, interessant und cool". Besonders die sehr verschiedenen Herangehensweisen der Künstlerinnen und Künstler faszinieren die Jugendlichen.

Bei der Wahl eines Lieblingsbilds zeigen sich aber deutliche Unterschiede, zumindest in der Geschmacks-, wenn nicht sogar der Persönlichkeitsentwicklung. Katherina zum Beispiel deutet auf eine Collage: "Mir gefallen die Mischung und die Widersprüche darin: Es ist etwas düster und kriminell, aber auch schüchtern. Es lässt mich irgendwie traurig fühlen, aber auch powerful." Johanna und eine andere Katharina hingegen mögen lieber die farbenstärkeren, knalligeren Bilder. "Die sind bunt, lebensfroh und freundlich, das ist schön", sagen die Mädchen.

Kultur in Ebersberg: An den abstrakten Werken wie den "Berührungspunkten" von Annett Bayer scheiden sie, wie so oft, die Geister.

An den abstrakten Werken wie den "Berührungspunkten" von Annett Bayer scheiden sie, wie so oft, die Geister.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

An den eher abstrakten Werken scheiden sich, wie so oft, auch unter den Jugendlichen die Geister. Ein Gemälde ist in bunte Kacheln unterteilt, mit einer einzigen größeren, in die ein "X" oder Kreuz gemalt ist. Johanna erkennt darin kaum noch ein Selbstporträt, Vivian hingegen mag das Bild sehr: "Jeder ist besonders, das wird gut in dem Bild und durch das 'X' ausgedrückt, finde ich."

Sich selbst zu malen fällt der Klasse noch schwer

Große Einigkeit besteht jedoch bei allen jungen Ausstellungsbesuchern dahingehend, dass sie es sehr schwierig finden, sich selbst zu malen. "Es gibt so viele Möglichkeiten, sich auszudrücken, und Entscheidungen, welche Emotionen man mit reinbringen will", sagt eine Schülerin, und ihre Klassenkameraden pflichten ihr bei.

Die Gefühle, die bei der Besichtigung hervorgerufen wurden, scheinen hingegen durchweg positiv. Lehrerin Verena Herber jedenfalls freut sich zu sehen, wie der Besuch etwas bei ihren Kunstbefohlenen ausgelöst hat: "Das sind für mich immer die schönsten und wertvollsten Momente." Und auch bei den Schülerinnen und Schülern gehen, als Angelika Oedingen zum Abschluss fragt, wie das Fazit ausfällt, alle Daumen nach oben. Manchmal ist es für die Entwicklung des eigenen Selbst vielleicht gar nicht verkehrt, sich mit einem anderen zu beschäftigen. Und sei es auf Leinwand gebannt.

"Selbstporträt": Mitgliederausstellung des Ebersberger Kunstvereins in der Galerie Alte Brennerei, geöffnet an diesem Samstag und Sonntag, 18./19. Dezember, jeweils von 14 bis 18 Uhr. Es gilt 2G Plus, bei Geboosterten ist jedoch kein Test notwendig. Am Sonntag um 16.30 Uhr wird der Publikumspreis verliehen. Außerdem gibt es im ersten Stock erstmals den "Kunstsinn", einen Weihnachtsmarkt mit kleinformatigen Werken zu günstigen Preisen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: