Israel:Surfen verboten

Israelische Rabbiner fürchten, die Kontrolle über die Handys von Ultraorthodoxen zu verlieren.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Die sittenstrengen ultraorthodoxen Rabbiner haben schon so manchen Feldzug gegen das Smartphone geführt - mal mit Worten, mal mit dem Hammer, der direkt auf ein böses iPhone niedersauste. Der frommen Gefolgschaft sind nämlich nur "koschere Handys" erlaubt, ohne Zugang zum Internet, das als Ort der Sünde gilt. Über die Einhaltung der Regeln wacht ein eigens geschaffenes "Rabbinisches Komitee für Kommunikationsangelegenheit". Doch nun ist zwischen Israels Regierung und den Religionsführern der Kampf ums koschere Handy wieder voll entbrannt.

Grund ist ein Plan des Kommunikationsministers Yoaz Hendel zur weiteren Deregulierung des Mobilfunkmarkts. Seit 2007 können Israelis beim Wechsel des Anbieters ihre alte Telefonnummer mitnehmen. Ausgenommen davon sind bislang die Besitzer der geschätzt rund 500 000 koscheren Mobiltelefone, die über besondere Nummern verfügen. Diese Ausnahme soll nun gestrichen werden, und für die Rabbiner bedeutet das: Kontrollverlust.

Schließlich geht die Aufsicht des Rabbiner-Komitees über die Handys weit über die Verhinderung des Internetzugangs hinaus. Geblockt wird zum Beispiel auch eine lange Liste von Telefonnummern. Für reichlich Kritik sorgte dabei immer wieder, dass darunter nicht nur Sexanbieter sind, sondern auch Informationsstellen der Regierung, Notrufnummern für Opfer von sexueller Gewalt oder Beratungsstellen für diejenigen, die aus der ultraorthodoxen Gemeinschaft aussteigen wollen.

Über das koschere Handy lässt sich also steuern, mit wem die Nutzer kommunizieren und welche Information sie erreichen. Die Telefonnummer ist dabei zu einem Ausweis der frommen Gefolgschaft geworden - und all das fällt weg, wenn diese Nummern künftig bei einem Anbieterwechsel unkontrolliert auch für Smartphones genutzt werden können.

Kein Wunder also, dass der Protest laut und schrill ist. In einem offenen Brief haben der sephardische und der aschkenasische Chefrabbiner in dieser Woche die geplante Reform als "große Gefahr" verdammt, die zu einer "spirituellen Zerstörung" führen könne. Noch drastischer drückten sich laut einem von der Zeitung Haaretz zitierten Gesprächsprotokoll andere Rabbiner aus, die sich neulich mit dem zuständigen Minister Hendel trafen. "Aus unserer Sicht ist das schlimmer als der Holocaust", sagte dort einer. "Jemanden zur Sünde zu verleiten, ist schlimmer, als ihn zu töten."

Aus dieser Aufregung spricht auch die Angst der ultraorthodoxen Autoritäten, von der Regierung ins Abseits gestellt zu werden. Denn erstmals seit langer Zeit sind in der seit Juni regierenden Koalition keine religiösen Parteien vertreten, und auch in anderen Bereichen - bei der Konversion zum Judentum oder bei der Zuständigkeit für Koscher-Zertifikate - sind bereits Reformen auf den Weg gebracht worden.

Allerdings scheinen die Rabbiner in Sachen Internet längst auf verlorenem Posten zu kämpfen. Einer jüngst veröffentlichten Studie zufolge sind bereits zwei Drittel aller Ultraorthodoxen in Israel online. Knapp die Hälfte davon nutzt dafür ein Handy. Manch einer nämlich besitzt zwei davon: eins zum Vorzeigen, eins zum Surfen.

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