Kulturelle Zwischennutzung:Schaufenster für die Kultur

Kulturelle Zwischennutzung: Benannt ist die Kunstwerkstatt nach der Hausnummer in der Schöngeisinger Straße.

Benannt ist die Kunstwerkstatt nach der Hausnummer in der Schöngeisinger Straße.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Eine Künstlergruppe um Niclas Willam-Singer verwandelt einen leerstehenden Laden in der Brucker Innenstadt in ein offenes Atelier.

Von Florian J. Haamann, Fürstenfeldbruck

Der so vertraute Geruch von noch frischer Farbe steigt dem Besucher direkt in die Nase, bahnt sich den Weg durch die feinen Poren der FFP-2-Maske. Ein wenig Zitrusnote liegt darin. Dass in diesem Raum Kunst entsteht, schwebt also schon in der Luft. Und es lässt sich hören. Durch die leise Musik dringt immer wieder das Geräusch eines Pinsels, der über eine Leinwand wischt. Eingehüllt in diese Eindrücke muss man aufpassen, bei den nächsten Schritten nicht an einem der vielen Rahmen hängen zu bleiben, an den Skulpturen und Arbeitstischen in dem ehemaligen Briefmarkenladen in der Schöngeisinger Straße, der seit einigen Wochen einer Gruppe Künstler als Atelier dient. An einem der Tische, hinter dem Schaufenster, steht Niclas Willam-Singer, ehemaliger Pfarrer, feingeistiger Arbeiter im Weinberg des Herren, der schon immer ein Kenner und Freund der Künste war und nun, im Ruhestand, in ihnen verstärkt seine Ausdrucksform gefunden hat. Den Platz habe er bekommen, weil die anderen sich dort nicht so wohl gefühlt hätten. "Aber ich bin ja ein Leben lang im Rampenlicht gestanden", sagt er und lacht.

Kulturelle Zwischennutzung: Niclas Willam-Singer hat die Brucker Innenstadt nach geeignten Räumen durchsucht.

Niclas Willam-Singer hat die Brucker Innenstadt nach geeignten Räumen durchsucht.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Willam-Singer war es, der den leerstehenden Laden gefunden und für die Gruppe organisiert hat. Entstanden sei die Idee bei den Werkwochen der Olchinger Künstler. Zuletzt haben sie sich vor einigen Monaten im Haus 10 auf dem Klostergelände für einige Tage zum gemeinsamen Arbeiten getroffen. "Da haben wir festgestellt, dass wir uns richtig gut verstehen", sagt Willam-Singer. Deshalb habe man das gemeinsame Arbeiten fortsetzen wollen, einfach öfter zusammen Kunst schaffen. "Also bin ich auf die Suche gegangen." Ein Raum in der Brucker Innenstadt, das sei der Wunsch gewesen. Dabei habe er einige unterhaltsame Erfahrungen gemacht, erzählt Willam-Singer. "Bei manchen leeren Läden weiß niemand so richtig, wer der Besitzer ist. Bei anderen ruft man an und dann heißt es: Ach ja, wir haben da ja noch den Laden". Fündig geworden ist er schließlich in dem etwas unscheinbaren weißen Haus gegenüber dem gewaltigen Einkaufszentrum in der Schöngeisinger Straße. Die Besitzerin, Dorothea Heid, der auch das direkt danebenliegende Musikgeschäft "Notenblatt" gehört, sei sofort aufgeschlossen gewesen. Und schon hatte Bruck mit der "Kunstwerkstatt 59" ein kulturelles Zwischennutzungsprojekt. Denn ewig werden die Künstler nicht dort bleiben können, zumindest für dieses Jahr aber haben sie eine Zusage.

Kulturelle Zwischennutzung: Waltraud Kosak-Gonzalez ist eine der sieben Künstlerinnen, die in dem Atelier arbeiten.

Waltraud Kosak-Gonzalez ist eine der sieben Künstlerinnen, die in dem Atelier arbeiten.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Sieben Künstler umfasst die Gruppe, die sich das Atelier teilt, neben Willam-Singer arbeiten dort Evi Grundner, Klaus Kühnlein, Hermine Schmid, Margot Vogl, Waltraud Kosak-Gonzales und Ola Schmidt. Die beiden letzten sind an diesem Nachmittag auch vor Ort, Schmidt arbeitet an einer Skulptur, Kosak-Gonzales an einem abstrakten Gemälde, von ihrem Tisch kommen die Pinselgeräusche. Offen ist das Atelier, wenn einer der Künstler dort ist, feste Zeiten gibt es nicht. Lediglich an jedem ersten Samstag im Monat soll es eine Art Ateliertag geben, an dem alle Künstler vom Vormittag an dort zusammenkommen. Wer sich für die Arbeit interessiert, der sei jederzeit eingeladen, nicht nur ein oder zwei neugierige Blicke durchs Schaufenster zu werfen. Wenn die Tür offen ist, ist jeder herzlich willkommen, es darf gestöbert und den Künstlern über die Schulter geschaut werden. Und über Gesprächspartner freuen sie sich auch jederzeit. Wer ein Kunstwerk sucht, das er bei sich zuhause an die Wand hängen würde, der kann direkt im Atelier einige Arbeiten kaufen.

Das Wunderbare am Atelier und seiner zentralen Lage sei, dass man auch einfach mal für ein oder zwei Stunden vorbeischauen und etwas arbeiten könne, sagt Singer. Wie oft er hier arbeite? "Meine Frau würde wahrscheinlich sagen ständig." Einige Tage in der Woche seien es auf jeden Fall. Manchmal müsse man nur schnell eine neue Farbschicht auftragen, die dann sowieso einen Tag trocknen muss, bevor es weitergehen kann.

Kulturelle Zwischennutzung: Im Schaufenster sind einige der fertigen Kunstwerke zu sehen.

Im Schaufenster sind einige der fertigen Kunstwerke zu sehen.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Das ist aber nicht der einzige Grund, warum die Künstler sich in der Innenstadt angesiedelt haben. Vielmehr geht es auch darum, der Kunst einen prominenten Platz zu geben, die Menschen am Entstehungsprozess und den Ergebnissen teilhaben zu lassen. Gerade während der Pandemie, in der das kulturelle Leben besonders gelitten hat. Um Kunst und Kultur wieder sichtbar zu machen, planen die Künstler deshalb in den kommenden Monaten auch, die Wände des Ateliers zu verlassen und mit Aktionstagen das Stadtbild und das gesellschaftliche Leben zu bereichern. So könne er sich beispielsweise eine Kunstmeile in der Schöngeisinger Straße vorstellen, sagt Singer. Auch gebe es einen größeren Innenhof, der sich sicher für Veranstaltungen eigene.

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