Pflegekräftemangel:Werben um den Pflege-Nachwuchs

Pflegekräftemangel: Simulationspuppe "Nursing Anne" will sich aufrichten: Ausbilderin Stefanie Johnen (rechts) erklärt Nina Zick, wie man es richtig macht und den Patienten dabei unterstützt.

Simulationspuppe "Nursing Anne" will sich aufrichten: Ausbilderin Stefanie Johnen (rechts) erklärt Nina Zick, wie man es richtig macht und den Patienten dabei unterstützt.

(Foto: Robert Haas)

Auch in München fehlen Pflegekräfte, aber was dagegen tun? In der Stadt setzt man auf kreative Lösungsansätze: von der Simulationspuppe bis zum "Café Pflege".

Von Nicole Graner

"Nursing Anne" liegt im Bett. Im Nachthemd unter einer weiß-blau gestreiften Decke. Nina Zick schiebt ihre rechte Hand behutsam unten den Nacken der Simulationspuppe und hebt ihn vorsichtig an. "Genau so!", lobt Ausbilderin Stefanie Johnen, 47. Zick ist 23. Sie macht an der Münchner Berufsfachschule für Pflege eine dreijährige Ausbildung zur Pflegefachfrau. Ganz bewusst hat sie sich für diesen Berufsweg entschieden.

Im Januar, mitten in der fünften Corona-Welle, sucht Bayerns Gesundheits- und Pflegeminister Klaus Holetschek nach freiwilligen Helfern für Krankenhäuser oder Alten- und Pflegeheime. Weil noch immer so viele Pflegefachkräfte fehlen. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2020 zwar viele Verträge zur dreijährigen "Generalistischen Pflegeausbildung" zur Pflegefachfrau oder zum Pflegefachmann geschlossen, aber viele auch wieder aufgelöst. Nina Zick will keinen Vertrag lösen. Nina will dabei bleiben.

Carolin Schnizer, Schulleiterin der Münchner Berufsfachschule für Pflege an der Neumarkter Straße, allerdings bestätigt: "Viele Auszubildende brechen nach dem ersten Jahr wieder ab." 2021 seien es an ihrer Schule 23 Prozent gewesen. Meistens würden die Schüler das tun, wenn sie die ersten Erfahrungen in der Praxis hinter sich haben. Wenn sie spürten, dass die Pflege "hoch komplex" sei. Es gehe um eine ganzheitlich am Menschen orientierte Pflege, was für die 43-Jährige vor allem heißt: "Man braucht eine hohe Sozialkompetenz".

Pflegekräftemangel: Eine gute, moderne Ausbildung ist für Carolin Schnizer, Schulleiterin der Berufsfachschule Pflege, das Wichtigste, um den Beruf in Zukunft attraktiver zu machen.

Eine gute, moderne Ausbildung ist für Carolin Schnizer, Schulleiterin der Berufsfachschule Pflege, das Wichtigste, um den Beruf in Zukunft attraktiver zu machen.

(Foto: Robert Haas)

Zur dreijährigen Ausbildung gehören nicht nur Pflichteinsätze in der stationären Akut- und Langzeitpflege oder in einer ambulanten Pflegeeinrichtung, sondern auch in der Pädiatrie. Und weil die Menschen eine höhere Lebenserwartung haben, sind Einsätze in der Altenpflege obligatorisch wie auch in der gerontopsychiatrischen Pflege, in der es um alte Menschen mit Erkrankungen wie Demenz geht. "Das alles", sagt Schnizer, "ist eine große Herausforderung für junge Menschen, die nach dem mittleren Schulabschluss die Ausbildung beginnen."

"Ob ich mir das mit 16 schon zugetraut hätte, weiß ich nicht", gesteht Nina Zick. Im September 2021 hat sie mit dem ersten Ausbildungsjahr begonnen. Eigentlich ist sie Tourismuskauffrau. Aber so richtig interessiert hat sie sich immer für den Menschen, für Medizin. Sie absolvierte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Klinik. Dann bekam sie Corona. In der Klinik sah sie, was Pflegefachkräfte leisten. "Ohne die Pflege geht gar nichts", sagt sie. Sie meldete sich in der Berufsfachschule an. Die Herausforderung, von der Schnizer gesprochen hat, ist genau das, was Nina Zick an diesem Beruf begeistert.

Nicht alle denken so. Viele, so sagt die 23-Jährige, würden mit dem Beruf nur Klischees verbinden. Nach dem Motto: "Du wäscht die Kranken ja alle nur!" oder "Du verteilst doch bloß Medikamente". Dass der Pflegeberuf so "schlecht geredet" werde, ärgert Zick. "Wie man mit einem Menschen gut umgeht, ist eine große Verantwortung." Sechs Auszubildende von 30 sind in Zicks Klasse wieder abgesprungen. Am Geld liege es ihrer Meinung nach nicht. Das Ausbildungsgehalt, das bei ihr in den ersten drei Jahren zwischen 1116 bis 1300 Euro brutto liege, reiche ihr. Und das Einstiegsgehalt, bestätigt Carolin Schnizer, sei "ganz ordentlich". Je nach Träger der Einrichtungen werden inzwischen 2800 bis 3500 Euro brutto gezahlt. Dazu kämen noch Schichtzulagen.

Wie attraktiv ist der Beruf für junge Menschen? Christian Wiedemann, der seit Mai 2021 für die Stadt in der Job- und Ausbildungsakquise Pflege tätig ist, glaubt, dass das Interesse an Pflegeberufen "eigentlich da ist". Trotz Corona. Bloß wüssten die meisten viel zu wenig über den Beruf, über die Ausbildungsmöglichkeiten. Die mangelnde Werbung ist "ein großes Problem". "In den vergangenen zehn bis 15 Jahren hat man in den Schulen überhaupt nicht für Pflegeberufe geworben." Das Versäumnis versucht der 48-Jährige jetzt aufzufangen. Er geht in die Schulen. Mit Flyern, mit Videos.

Die meisten steigen aus, weil die Belastung zu groß ist

Im "Café Pflege" berät er einmal in der Woche im Bellevue di Monaco auch junge Geflüchtete und Migranten - live und in Hybridsitzungen. Er kümmert sich um die Job- und Ausbildungsmesse zur Pflege, leitet digitale Informationsveranstaltungen. Für die, die schon lange dabei sind, für Ausbilder und Neulinge. Keine Frage bleibt unbeantwortet. Geduldig hört Wiedemann zu. Er weiß, um was es geht. Er selbst ist gelernte Pflegedienstfachkraft im klinischen Bereich.

Wie viele Patienten in der Realität von einer Pflegefachkraft versorgt werden, wie die Arbeitsbedingungen sind, wie motiviert werde, ob es günstige Wohnungen für Pflegefachkräfte gibt - vieles liegt da laut Wiedemann noch im Argen. "Die meisten, die gerade aussteigen, tun das, weil die Belastung einfach zu groß ist", sagt die stellvertretende Schulleiterin Stefanie Johnen. Pflegefachkräfte hätten kaum Zeit mehr für die Patienten, könnten oft nicht das anwenden, was sie gelernt hätten. Das frustriere. Ein anderes Problem: Eine etablierte Interessensvertretung, also eine Pflegekammer, gibt es nicht. Die wünschen sich Wiedemann und auch Carolin Schnizer.

"Nursing Anne" ist ganz neu. Noch nicht einmal programmiert. Sonst könnte sie sogar sprechen. Im Simulationszentrum wird sie bald ihren Trainingsarm zum Blutdruckmessen bereit halten. Eine "Modernisierung der Ausbildungsinhalte" und "eine bessere Ausstattung der Pflegeschulen" wie es das Pflegeberufegesetz 2020 vorsieht, sei, wie Schnizer sagt, für die Entwicklung in der Pflege "das Wichtigste". Und die Stadt investiere jetzt in ihre Berufsfachschulen. "Es tut sich also was". In Richtung Zukunft.

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