Ausstellung im ehemaligen Spital am Inn:Wasserburg forever

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Bernd Joa hier vor einem seiner Lieblingsbilder, der "Pfarrkirche mit zwei Klosterfrauen" (1925), gemalt von Wolf Röhricht (1886-1953). (Foto: Sabine Reithmaier)

Bernd Joa, Pfarrer im Ruhestand, sammelt seit fast 60 Jahren alles, was einen Bezug zu seiner Stadt hat - beeindruckend ist vor allem die Fülle an hochkarätigen Stadtansichten.

Von Sabine Reithmaier, Wasserburg

Bernd Joa ist ein leidenschaftlicher Sammler. Allerdings hat er seit fast 60 Jahren ein klar eingegrenztes Gebiet: Er sammelt alles, was einen Bezug zur Stadt Wasserburg hat. "Entweder ist das Exponat hier entstanden, oder es stellt Wasserburg dar", erläutert er sein Konzept, bevor er zum Rundgang startet. Untergebracht ist die Sammlung in einem sehr reizvollen Ambiente: in den denkmalgeschützten Mauern des ehemaligen Heiliggeist-Spitals am Brucktor mit Blick auf die rote Innbrücke.

Anfangs nur Druckgrafik

In seinen Anfängen konzentrierte sich Joa auf Druckgrafik, bald kamen Zeichnungen, Aquarelle, Ölgemälde dazu. Es folgten Zinn, Silber, Keramik, Uhren, Urkunden, Siegel, Tabakdosen, Münzen und noch vieles andere. 2500 Objekte sind es inzwischen, das älteste Stück datiert aus dem Jahr 1600, alles original Wasserburg natürlich. Doch was den Besuch der Sammlung wirklich lohnt, sind die gemalten, gezeichneten, gedruckten Stadtansichten, die Joa zusammengetragen hat. Viele bekannte Künstler sind darunter, andere sind längst vergessen. 500 Bilder dürften es sein, schätzt er, Werke, die davon erzählen, wie sehr die einzigartige Lage und vor allem der Blick über den Inn auf die Altstadt Künstler seit Jahrhunderten fasziniert. Auch Alexej von Jawlensky übrigens, der 1906 und 1907 in der Stadt malte. "Aber den kann ich mir nicht leisten", sagt Joa.

Max A. Stremel (1859-1928), einer der bedeutendsten deutschen Vertreter des Pointillismus, hat das Ölgemälde "Blick auf Wasserburg" um 1920 gemalt. (Foto: Karl Aß / Sammlung Bernd Joa)

Es ist vergnüglich, mit ihm durch die Sammlung zu schlendern. Zeit sollte man schon mitbringen, schließlich sind vier Stockwerke abzuwandern. Das Erdgeschoss mit den Haushaltsgegenständen schafft man relativ schnell: Zinnkrüge und -teller, der älteste von 1617, alle auf der Rückseite gestempelt. Keramik, Backmodeln, glasierte und unglasierte, und eine echte Rarität: Wasserburger Fayencen. Die Erforschung ihrer Tradition steht erst am Anfang, bislang vertraten die meisten Fachleute die Ansicht, Fayencen im Alpenvorland gebe es nur in Dießen, Salzburg und Gmunden. Doch inzwischen seien so viele gesicherte Objekte aufgetaucht, dass kein Zweifel mehr an ihrer Authentizität bestehe, sagt Joa.

Während der 79-Jährige die knarzende Treppe zum ersten Stock hinaufsteigt, erzählt er, wie er nach zwei Jahren Theologiestudium in Freising 1965 an die Münchner Uni wechselte, in erster Linie um dem Priesterseminar zu entkommen. "Das hat mir nicht getaugt", sagt er knapp. In diesem Jahr erwachte sein Sammeltrieb - vermutlich vermisste der gebürtige Wasserburger seine Heimatstadt doch sehr. Er wurde Stammkunde in den Schwabinger Antiquariaten, gab oft sein letztes Geld für eine Grafik aus. Als er nach mehreren Stationen 1980 seine Pfarrstelle in Edling (Landkreis Rosenheim) antrat, boten ihm Pfarrhof und Schulhaus genügend Raum für seine schnell wachsende Sammlung. Als er sich 2007 in den Ruhestand verabschiedete, stiftete er seine Sammlung, "damals nur 1400 Objekte", der Stadt. Doch weil er weiter sammelte, wurde es in der ehemaligen Hausmeisterwohnung im Rathaus, in der die Kollektion präsentiert wurde, bald zu eng. 2015 zogen die Exponate wieder um, dieses Mal in den Brucktor-Komplex.

Selbstverständlich sammelt Bernd Joa auch Zeitgenossen, hier das Bild "An der Wasserburger Schiffsanlegestelle" (2012) des gebürtigen Rosenheimers Gerhard Prokop, Jahrgang 1951. Er setzt sich in seiner künstlerischen Arbeit seit langem mit dem Thema "Stadtlandschaften" auseinander, hat Motive in Berlin, Hamburg, Rom, Prag, Wien, Paris, Kairo gefunden. Und natürlich auch in Wasserburg. (Foto: Karl Aß / Sammlung Bernd Joa)

Das Gebäude ist wunderbar verwinkelt. Joa geht voran in den "Wasserburger Saal". Früher teilten sich hier 25 kranke Männer das einzige, noch erhaltene Waschbecken und die Toilette am Gang. Für diesen Prunkraum hat der Pfarrer seine eigenen Kriterien verschärft: "Wer hier ausgestellt wird, muss in Wasserburg gewohnt haben." Otto Geigenberger zum Beispiel, 1881 hier geboren, berühmt wegen seiner zahlreichen Stadtansichten, nicht nur der von Wasserburg. Die Nazis konnten sich über sein Werk nicht ganz einig werden. Einige Arbeiten galten als "entartet", andere dagegen wurden reproduziert und in "Westermanns Monatsheften" immer wieder abgedruckt. 1943/44 durfte er dann weder malen noch ausstellen, genau die Zeit, in der das düstere "Wasserburg im Schnee" entstand. "Er hat sich dafür mit Lebensmitteln zahlen lassen", glaubt Joa.

Zu jedem Bild gehört eine Geschichte

Nicht weit davon entfernt hängt ein Werk Ludwig Weningers. Dessen Kunst missfiel den Nazis durchgängig. 1904 in Gunzenhausen geboren, zog er in den Dreißigerjahren nach Wasserburg, malte die Stadt und ihre Umgebung oft, allerdings im Stil der Neuen Sachlichkeit. In den allerletzten Kriegstagen erschoss ihn ein amerikanischer Soldat bei einem Fluchtversuch in Franken. Seinen künstlerischen Nachlass entdeckte man Jahrzehnte später auf einem Wasserburger Speicher.

Unumstritten bei den Nazis war dagegen Ernst Liebermann (1869 - 1960), ein gegenständlicher Maler, den Joa nicht im Saal, sondern kommentarlos ein Stockwerk höher präsentiert. Ihn ließ Hitler 1944 auf die Gottbegnadetenliste setzen, er war mehrmals auf den Großen Deutschen Kunstausstellungen im Haus der Kunst vertreten.

Zu jedem Bild weiß der ehemalige Pfarrer eine Geschichte. Ob zu Carl Staudt, der in Wasserburg nur die Winter verbrachte, oder zu Josef Pilartz, einem Kölner, den der Erste Weltkrieg an den Inn verschlug, oder zu Hans Ganser (1897 - 1970), einst bekannter Zinngießer, Glaser, Kunstmaler und Restaurator, sein Haus ist seit 1975 das Domizil des Wasserburger Kunstvereins AK 68. Dessen Mitglieder, etwa Willi Reichert, sind ebenfalls im Saal vertreten.

Otto Geigenberger (1881 - 1946), hier sein Ölgemälde "An der Wasserburger Innfront" (1926), malte unzählige Stadtansichten, nicht nur die seiner Heimatstadt. (Foto: Karl Aß / Sammlung Bernd Joa)

Andere Zeitgenossen finden sich ein Stockwerk höher. Dort hängen auch Kupferstiche, Radierungen, Lithografien in großer Zahl. Joa besitzt häufig nicht nur das Original, sondern auch verschiedene Abzüge. Kennt sich aus mit den unterschiedlichen Signaturen auf identisch wirkenden Blättern. Erläutert die künstlerische Entwicklung Ludwig Weningers anhand von vier Stadtansichten. Bleibt dann vor einem seiner Lieblingsbilder stehen: der "Pfarrkirche mit zwei Klosterfrauen" von Wolf Röhricht (1886 - 1953). Hier stimme zwar keine einzige Proportion, nichts sei korrekt. "Aber es ist einfach Wasserburg".

Stadtpläne und Weihwasserkessel

Ganz oben ist die christliche Kunst eingezogen, Heiligenfiguren aus Terrakotta, die Joa, wenn nötig, selbst restauriert. Weihwasserkessel, Modeln für Votivgaben, Sammelbüchsen oder ein Schränkchen zur Aufbewahrung der "Heiligen Öle". Und im letzten Raum Stadtpläne, der älteste Druck stammt aus dem Jahr 1815.

Joa sammelt immer noch. Alljährlich in der letzten Ratssitzung vor Weihnachten übergibt er die Schätze, die er während des Jahres gekauft hat, an die Stadt, manchmal 80 bis 100 Objekte. Ans Aufhören denkt er nicht. Warum auch - er schüttelt den Kopf. "Es macht mir Spaß und Angehörige habe ich keine. Was soll ich denn sonst tun?"

Wasserburg aus fünf Jahrhunderten. Sammlung im Brucktor, Bruckgasse 2, 83512 Wasserburg a. Inn. Besichtigung nur nach Anmeldung: Bernd Joa, Tel. 08071 922960, E-Mail: joa.bernd(@)freenet.de

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