Polen:An den polnischen Grenzen herrscht Doppelmoral

Polen: Während Flüchtlinge an der ukrainischen Grenze in Polen offen aufgenommen werden, sterben Flüchtlinge an der belarussischen Grenze im Wald

Während Flüchtlinge an der ukrainischen Grenze in Polen offen aufgenommen werden, sterben Flüchtlinge an der belarussischen Grenze im Wald

(Foto: Wojtek Radwanski/AFP)

Nein, die rechtsgerichtete polnische Regierung ist nicht plötzlich zu einer Truppe liberaler Menschenfreunde mutiert, nur weil sie so solidarisch mit der Ukraine ist. Die Pushbacks an der belarussischen Grenze gehen weiter - und die EU schaut zu.

Kommentar von Viktoria Großmann

An der polnischen Grenze sterben Menschen auf der Flucht - an Erschöpfung, Kälte, Hunger, Durst. Wer sich durch die sumpfigen Urwälder von Belarus nach Polen kämpft, ist dem falschen Versprechen des Diktators Alexander Lukaschenko aufgesessen, dass über Minsk ein vergleichsweise sicherer Weg in die EU führt - die Menschen aus dem Irak, Jemen, Syrien oder Afghanistan sowie vielen afrikanischen Ländern hoffen, in Europa ein besseres Leben führen zu können. Stattdessen erwartet sie oft die Brutalität der polnischen Grenzbeamten.

Diese Tragödie geht nicht allein auf Kosten der nationalpopulistischen polnischen PiS-Regierung. Mit ihrem Gerede von einer "hybriden Attacke" durch den belarussischen Diktator gab die EU der stramm rechten Regierung in Warschau den willkommenen Vorwand, mit aller Härte gegen Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten sowie Afrika vorzugehen. Die Grenzschützer behandeln die Frauen und Männer, Kinder und Alten wie Angreifer und Staatsfeinde, die brutal abgewehrt werden müssen - und drängt viele von ihnen in illegalen Pushbacks auf die belarussische Seite.

Es sind ein paar Dutzend täglich, die kommen, im Vergleich zu den Hunderttausenden an der ukrainischen Grenze. Der Gegensatz könnte krasser nicht sein. Die polnische Regierung unterscheidet klar in Freund und Feind. Die Zivilgesellschaft hingegen hilft an beiden Grenzen, sowohl Anwohner wie Hilfsorganisationen. An der Grenze zur Ukraine ist das im Sinne des neuen strahlenden Ansehens Polens in der Welt als vorbildlicher Helfer gern gesehen. An der Grenze zu Belarus kann es hingegen eine Strafe wegen Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt oder gar wegen Menschenschmuggels nach sich ziehen.

Die Europäische Union hätte dieses Drama leicht verhindern können. Nun muss sie für Fairness in der Flüchtlingshilfe sorgen

Die EU hat den Eindruck zugelassen, von ein paar Zehntausend Flüchtlingen erschüttert werden zu können. Als ob sie nicht Erfahrungen mit viel größeren Zahlen hätte. Die Leute ohne großes Aufheben zu versorgen und ihre Asylanträge zu überprüfen, hätte dem Diktator in Minsk von Beginn an gezeigt, dass seine Strategie nicht aufgeht. Schließlich gelang es der EU auch, die Fluchtroute zu schließen. Dennoch darf sich die polnische Regierung weiter als Beschützerin vor der Aggression aus dem Osten darstellen. Die im Bau befindliche fast 200 Kilometer lange Stahlmauer, so rühmt sich die PiS, schütze ganz Europa und sichere die Nato-Ostflanke. Es ist nicht klar, ob sie an belarussische Panzer denkt oder an ein paar verzweifelte Familien auf der Flucht.

Nein, die rechtsgerichtete Regierung Polens ist nicht plötzlich zu einer Truppe liberaler Menschenfreunde mutiert, nur weil sie so solidarisch mit der Ukraine ist. Wie so oft sind Menschenrechtsorganisationen in Polen nicht nur wütend über die eigene Regierung, sondern auch enttäuscht von der EU. Weil die nichts sagt zur Abschreckungsmauer, die im von Unesco und EU geschützten Urwald entsteht. Amtshilfe hat die EU Polen und Litauen im Dezember angeboten. Litauen schlug ein, Polen nicht. Tja.

Nun möchte die polnische Regierung Hilfe bei der Versorgung der ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Ein guter Zeitpunkt für alle EU-Partner, sich darauf zu besinnen, dass für alle Menschen in Not dieselbe moralische Pflicht gilt zu helfen. Das Recht, um internationalen Schutz zu bitten und unter anständigen Bedingungen auf einen Bescheid zu warten, ist das Allermindeste.

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