Tischtennis in Neu-Ulm:Die beste 1b der Welt

Tischtennis in Neu-Ulm: Abschied aus Orenburg: Dimitrij Ovtcharov hat seinen langjährigen russischen Topklub verlassen - und soll nun helfen, die große Neu-Ulmer Arena mal zu füllen.

Abschied aus Orenburg: Dimitrij Ovtcharov hat seinen langjährigen russischen Topklub verlassen - und soll nun helfen, die große Neu-Ulmer Arena mal zu füllen.

(Foto: Wang Dongzhen/Imago)

Kuriosität mit großen Namen im deutschen Tischtennis: Warum ein Ausnahmequartett um den deutschen Olympiahelden Dimitrij Ovtcharov plötzlich für den kleinen TTC Neu-Ulm antritt.

Von Andreas Liebmann

Im Nachhinein ist es einer der wohl schönsten Irrtümer der neueren Tischtennisgeschichte, und wenn sich Florian Ebner darum bemühen würde, vielleicht könnte er sogar eine Art Rückgaberecht für seine neuen Stars erwirken - aber daran denkt der Klubchef des Tischtennis-Erstligisten TTC Neu-Ulm keine Sekunde lang. "Once in a lifetime", sagt er, einmal im Leben ergebe sich eine solche Chance, und deshalb hat sein junger Verein nun eben Deutschlands Olympiahelden Dimitrij Ovtcharov unter Vertrag. Und nicht nur ihn, sondern gleich vier Weltklassespieler seines Kalibers.

Man muss ein bisschen ausholen, um die ganze Kuriosität zu erklären, denn eigentlich hatte Ebner bis vor Kurzem völlig andere Pläne - und auch andere Probleme, seit Russlands Alleinherrscher Putin die Ukraine überfallen hat. Denn der TTC Neu-Ulm beschäftigt in Lev Katsman und Vladimir Sidorenko zwei junge Russen, die hier vom russischen Trainer Dmitrij Mazunov ausgebildet werden; mit Maksim Grebnev, der vom TSV Bad Königshofen kommt, hat sich die Zahl sogar noch erhöht.

Die Verträge waren alle längst unterzeichnet, als der Krieg begann, und danach hat der Verein seinen Jungprofis, die "voller Sorge über die Situation" seien, unmissverständlich Unterstützung zugesagt. Nur: Von der Champions League, für die sich der TTC vor einem Jahr eine Wildcard geleistet und in der er eine beachtliche Debütsaison gezeigt hatte, da sollten russische wie weißrussische Spieler und Trainer ausgeschlossen werden.

Für Ebner, der bis dahin eine neue Nummer eins für sein TTBL-Team suchte, änderte sich damit die Strategie: Plötzlich fahndete er nach einer Art kompletter 1b-Mannschaft für den internationalen Wettbewerb. Es traf sich, dass Deutschlands Nummer eins Dimitrij Ovtcharov gerade arbeitssuchend war - und am Ende einer kleinen Einkaufstour hat Ebner nun also die Nummern fünf, sechs, sieben und 15 der Weltrangliste mit Einjahresverträgen ausgestattet: Tomokazu Harimoto, Lin Yun-Ju, Ovtcharov und Truls Möregardh. Als er seinem Teammanager die Namen präsentierte, habe dieser an der Zurechnungsfähigkeit seines Chefs gezweifelt, erzählt Ebner fröhlich.

Ovtcharov ist in Kiew geboren, er verurteilt den Krieg und hat seinen russischen Klub verlassen

Ovtcharov spielte seit 2010 für den russischen Verein Fakel Orenburg. Dass er dort nicht länger bleiben würde, war eigentlich klar. Als Russlands Topklubs Orenburg und Jekaterinburg aus den Halbfinals der zurückliegenden Champions-League-Saison gestrichen wurden, war der 33-Jährige gerade verletzt, das ersparte ihm zunächst eine öffentliche Erklärung. Doch es ging für ihn durchaus um mehr als um die trübe Aussicht, dass sein bisheriger Klub auch weiterhin nicht international wird antreten dürfen. Denn Ovtcharov ist gebürtiger Ukrainer, er kam in Kiew zur Welt.

Bis vor Kurzem lebte seine Großmutter dort, inzwischen hat er sie nach Deutschland geholt, in die Sicherheit. Bis vor drei Tagen ließ sich Ovtcharov noch Zeit, dann nahm er via Instagram Stellung: "Der schreckliche Krieg gegen die Ukraine macht mich fassungslos und sehr traurig", schrieb er, schon vor Wochen habe er entschieden, Orenburg zu verlassen. "Der Sport kann eigentlich nichts dafür, dennoch kann ich jetzt nicht einfach weiter dort Tischtennis spielen!" Er bete jeden Tag dafür, dass der Krieg aufhöre.

Mit Neu-Ulm war er sich da bereits einig, und Ebner wunderte sich, wie leicht alles ging - er hatte mehr Mitbewerber erwartet. Ovtcharov sagte schnell zu und versprach, sich noch etwas umzuhören. Und wie das eben so ist, wenn einer wie er mal mit Kumpels spricht: Er bringt nun aus Orenburg den 20-jährigen Taiwanesen Lin Yun-ju mit. Dann signalisierte Tomokazu Harimoto Interesse, Japans 18-jährige Nummer eins, die gelegentlich als "Wunderkind" bezeichnet wird. Mit dem 20-jährigen Schweden Möregardh, zuletzt WM-Zweiter, stand Ebner ohnehin in Kontakt. "Ovtcharovs Strahlkraft hat uns enorm geholfen", sagt Ebner.

Das neue Starquartett ist nur für die Champions League eingeplant, die Bundesligamannschaft bleibt unverändert

Die vier neuen Topleute sind nun allerdings wirklich nur für die Champions League geholt worden, für die Bundesliga sind sie nicht vorgesehen. Harimoto und Möregardh dürften dort nicht mal eingesetzt werden, weil sie in anderen nationalen Ligen aktiv sind. Sollte Ovtcharov dagegen mal Lust auf ein TTBL-Heimspiel verspüren, gegen Düsseldorf vielleicht, oder auf einen Einsatz im Pokal, dann würde Ebner sich natürlich nicht wehren, wie er sagt.

Ansonsten werden die TTBL-Matches von Sidorenko, Katsman und Grebnev bestritten plus einer noch zu suchenden Nummer vier. Mehr wird nicht mehr drin sein. "Die Gelegenheit war günstig", sagt Ebner - die Transfers selber wohl eher weniger. Nun hofft der Verleger, mit den Bekanntheiten auch mal die große Arena in Neu-Ulm füllen zu können.

Somit ergibt sich die kuriose Lage, dass der TTC Neu-Ulm plötzlich zu den Topfavoriten der Champions League zählt, national aber sogar einen schweren Stand haben könnte in einer insgesamt verstärkten Liga. Und die besondere Pointe an der ganzen Sache ist nun, dass vor wenigen Tagen ein Beschluss öffentlich wurde, nach dem russische Sportler zumindest für nichtrussische Vereine doch in der Champions League antreten dürfen. Streng genommen wäre der Plan mit der 1b-Mannschaft also gar nicht mal nötig gewesen - stolz darauf, sie zu haben, ist Ebner nun trotzdem.

Zur SZ-Startseite

Tischtennis
:Chaos im Kopf

Beim TTC Neu-Ulm spielen zwei russische Profis, trainiert von einem russischen Trainer und gemanagt von einem Ukrainer. Die Russen sind für internationale Spiele gesperrt, dürfen in der Bundesliga aber weiter auflaufen. Den Krieg verurteilen alle.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: