Tödliche Zivilcourage:Ist Dominik Brunner wirklich ein Held?

Tödliche Zivilcourage: Dominik Brunner wird nach seinem Tod zum Helden stilisiert. Doch Monate später offenbaren sich plötzlich Zweifel an der bis dahin bekannten Version.

Dominik Brunner wird nach seinem Tod zum Helden stilisiert. Doch Monate später offenbaren sich plötzlich Zweifel an der bis dahin bekannten Version.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Nach Jahren des Schweigens äußern sich in einer Fernsehdoku erstmals Vertraute des Mannes, der Schülern beistand und nach einer Schlägerei mit Jugendlichen starb. Der Film beleuchtet die Zweifel an seiner Heroisierung.

Von Anita Naujokat

Wie muss man sich fühlen, wenn man Tag für Tag das Bild des toten Freundes in den Zeitungen und Fernsehnachrichten sieht? Einem Schlagzeilen mit allen Einzelheiten des schrecklichen Geschehens an jeder Ecke entgegenspringen? Berichte, in denen jedes Detail schonungslos ausgeschlachtet wird? Der private Verlust zu einem öffentlichen Ereignis wird?

In einer NDR-Doku der Filmemacherinnen Simona Dürnberg und Kira Gantner äußern sich jetzt erstmals Freunde und Vertraute von Dominik Brunner. Brunner starb am 12. September 2009, einem Samstag, infolge einer Schlägerei mit Jugendlichen am S-Bahnhof Solln. Der 50-Jährige war in der S-Bahn eingeschritten, als Jugendliche einer Gruppe Gymnasiasten Gewalt androhten und sie um Geld bedrängten. Er alarmiert die Polizei, steigt mit der Schülergruppe und den Jugendlichen in Solln aus, wo die Situation eskaliert. Brunner geht zu Boden, wo ihn die damals 17- und 18-Jährigen mit Faustschlägen und Tritten auch gegen den Kopf traktieren. Zwei Stunden später stirbt Dominik Brunner im Klinikum Großhadern.

Zu Wort kommen etwa Dieter Frey, Professor für Sozialpsychologie an der Ludwig-Maximilians-Universität, der über Zivilcourage forscht, und Roland Autenrieth, einer der Verteidiger der Täter. Die Angeklagten werden zehn Monate später wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu knapp zehn und sieben Jahren Haft verurteilt.

Tödliche Zivilcourage: Die beiden damals 17- und 18-jährigen Angeklagten werden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.

Die beiden damals 17- und 18-jährigen Angeklagten werden zu langen Gefängnisstrafen verurteilt.

(Foto: Michael Dalder/dpa)

Brunners ehemalige Lebensgefährtin Petra Pohlmeyer beschäftigt bis heute, ob es anders gekommen wäre, wenn sie dabei gewesen wäre. Sie war nur eine S-Bahn hinter Brunner, beide hatten sich nach Essen und Einkaufen in der Innenstadt getrennt und wollten sich bei ihm zu Hause in Solln wieder treffen. Sie gebe sich keine Schuld, sagt sie, hätte aber vielleicht die Situation entzerren können. Für den Film kehrte sie erstmals an den Ort zurück, an dem sie ihren langjährigen Freund verloren hatte.

Brunner wird bundesweit zum Helden stilisiert, als leuchtendes Beispiel für Mut und Zivilcourage. Es gibt landesweite Schweigeminuten, öffentliche Kundgebungen, eine Stiftung, ein Dominik-Brunner-Haus. In Poing wird eine Realschule nach ihm benannt, ihm werden Wege und Straßen gewidmet. Ein ganzes Land trauert, ihm werden viele Ehrungen zuteil.

Tödliche Zivilcourage: Tausende nehmen an Schweigeminuten und Kundgebungen teil - hier die ökumenische Andacht für den Toten am S-Bahnhof in Solln.

Tausende nehmen an Schweigeminuten und Kundgebungen teil - hier die ökumenische Andacht für den Toten am S-Bahnhof in Solln.

(Foto: Robert Haas)

Für seinen Freund Claus Girnghuber machte das öffentliche Interesse die Bewältigung nicht leichter, es war eher hinderlich. "Er war ja unser Freund, der einfach gestorben ist", sagt er. Brunner habe auch nie Held sein wollen, sei nur mit einem starken Gerechtigkeitsempfinden ausgestattet gewesen.

Im Prozess offenbarten sich plötzlich Widersprüche und Zweifel an der bisherigen Version. Laut Obduktion soll keine der Verletzungen zu Brunners Tod geführt haben, sondern Herzstillstand. Und laut einer Aussage soll sich Brunner seiner Jacke und Tasche entledigt und als erster zugeschlagen haben.

Die Freunde nervt die Debatte, wer zuerst geschlagen hat

Diese Diskussionen über "erster Schlag - nicht erster Schlag" und die Todesursache hätten ihn "tierisch genervt und mitgenommen", sagt Charly Weinberger, ein anderer Freund. Auch das Thema Täter: Er verzeihe ihnen nicht, sie seien ihm aber mittlerweile völlig egal.

Der Film wirft auch Fragen auf zu Brunners Verhalten und die anschließende Heroisierung. Ob und warum braucht die Gesellschaft Helden? Und wie schwierig es bei einer öffentlichen Vorverurteilung für die Verteidigung ist, am Sockel eines solchen kratzen zu müssen.

Die Doku vermittelt aber auch eine große Nähe zu den Protagonisten, die unwillkürlich Fragen nach dem eigenen Umgang mit so einer Situation aufwirft. Das war die Absicht der beiden Filmemacherinnen. "Uns war es wichtig ein Thema zu nehmen, mit dem wir uns alle identifizieren können, etwas, was jeder erleben kann", sagt Simona Dürnberg.

Verwandte, die sie hätten befragen können, habe es nicht mehr gegeben. Die Mutter sei kurz nach Brunners Tod gestorben, der Vater vor wenigen Jahren. Geschwister habe Brunner nicht gehabt. "Es war nur eine kleine Kernfamilie gewesen", sagt Simona Dürnberg. Petra Pohlmeyer sei erst kurzfristig dazugekommen, sie habe lange überlegt und Zeit für ihre Entscheidung gebraucht.

An dem Fall seien sie und ihre Kollegin bei den Recherchen schnell hängen geblieben. "Er hat uns sehr berührt und war erzählenswert." Ein Fall, der auf den ersten Blick eindeutig erschien, sich im Laufe des Gerichtsverfahrens aber als wesentlich komplexer herausstellte. Über einen Mann, der die richtige Absicht gehabt habe, aber vielleicht andere hätte ansprechen und hinzuziehen sollen, und Täter, die niemals so hätten handeln dürfen.

Der Film "Tödliche Zivilcourage: Der Fall Brunner" ist in der Doku-Reihe "Die Narbe" in der ARD/NDR-Mediathek zu sehen.

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