Arbeit im Strafvollzug:Spitzengehalt: 2,22 Euro

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In der JVA Weiterstadt in Hessen betreiben Häftlinge eine Schneiderei. (Foto: Silas Stein/picture alliance/dpa)

Häftlinge, die im Gefängnis arbeiten, werden nicht reich: Die Löhne im Strafvollzug sind mickrig. Da die Insassen aber lernen sollen, dass sich legale Arbeit lohnt, könnte ihnen das Bundesverfassungsgericht jetzt zu einer besseren Bezahlung verhelfen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

In Castrop-Rauxel hat kürzlich ein "Knastladen" aufgemacht, mitten in der Innenstadt. Es gibt Holzlaster für 40 Euro, Vogelhäuschen oder Zechentürme aus Sperrholz. Alles in Gefängniswerkstätten gefertigt, made in Germany, wenn man so will. Sogar die Bedienung im Kundenraum übernehmen Strafgefangene, nur die Kasse macht ein Beamter. Auch anderswo wird hinter Gittern eifrig produziert. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Münster werden Bürostühle zusammengebaut, in Attendorn schreinern sie mit massivem Lärchenholz, in der JVA Werl entstehen Lichterbögen, Christbaumschmuck und Nagerhäuser für Zwerghamster und Riesenkaninchen.

Es gibt etwa 44 000 Strafgefangene in Deutschland. Nicht alle davon arbeiten, aber in zwölf von 16 Bundesländern herrscht Arbeitspflicht; nur in Sachsen, Brandenburg, Reinland-Pfalz und dem Saarland können die Inhaftierten selbst entscheiden, ob sie arbeiten wollen. Arbeit vertreibt die Zeit, man kommt immerhin aus der Zelle raus. Nur reich wird man damit nicht, auch nicht nach zehn Jahren; die Löhne im Strafvollzug sind mickrig. Bisher jedenfalls, denn das könnte sich bald ändern. Von Mittwoch an verhandelt das Bundesverfassungsgericht zwei Tage lang über die Beschwerden zweier Häftlinge aus Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das Urteil folgt in einigen Monaten. Aber wenn sich die Karlsruher Richterinnen und Richter so intensiv mit einem Thema befassen, dann ahnt man: Die wollen ernst machen.

Stundenlohn zwischen 1,33 Euro und 2,22 Euro

Die Vergütung hinter Gittern orientiert sich an einem "Ecklohn", der neun Prozent des Durchschnittsentgelts der gesetzlichen Rentenversicherung beträgt. Derzeit entspricht das einem Tagessatz von 14,21 Euro, wovon es - je nach Qualifikation - Abweichungen nach oben und unten gibt. Bei einem Acht-Stunden-Tag reicht die Spanne von 1,33 bis 2,22 pro Stunde. Zu wenig ist es trotzdem, sagt Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft GG/BO. "Das System muss vermitteln, dass sich ehrliche Arbeit lohnt."

Lohnenswert, so erscheint es, ist die Gefängnisarbeit zunächst für die Unternehmen, die dort produzieren lassen. Denn neben den "Eigenbetrieben" der Gefängnisse - meist Schreinereien oder Schlossereien - sind die sogenannten "Unternehmerbetriebe" das zweite Standbein. Also externe Arbeitgeber, die den nahen Strafvollzug dem fernen Billiglohnland vorziehen. Das Recherchenetzwerk Correctiv hat vor einigen Jahren eine - nicht annähernd erschöpfende - Liste mit 90 Firmennamen veröffentlicht. Ein paar große Namen sind darunter, wie BMW, Daimler, Miele und VW. Oder MTU, gefragter Arbeitgeber in der JVA Straubing, wo Spitzenkräfte auch mal 600 Euro im Monat verdienen können. Ansonsten zeigt sich dort ein Spiegelbild des Mittelstands, von der Armaturenproduktion über die Herstellung von Leuchten oder Kurzwaren bis zu Paletten, Fliesen oder Ventilatoren.

In der Schreinerei einer JVA in Rheinland-Pfalz fertigen die Häftlinge Möbel an - für einen Stundenlohn von bis zu 2,15 Euro. (Foto: Thomas Frey/dpa)

Die Werkhallen hinter Gefängnismauern spülen ganz nebenbei Geld in die Landeshaushalte. Bayern nimmt über Eigen- und Unternehmerbetriebe rund 30 Millionen Euro pro Jahr ein, die Summe lag auch schon mal über 40 Millionen. Was freilich den 400 Millionen Euro teuren bayerischen Justizvollzug nicht aufwiegt. NRW erwirtschaftet gut 41 Millionen Euro, gibt allerdings allein für den Werkdienst in den Arbeitsbetrieben knapp 43 Millionen Euro aus. Gewinn sieht anders aus. Dennoch, die Firmen profitieren von den günstigen Stundensätzen, die Landeshaushalte vom Überschuss - nur die Arbeiter fallen durchs Raster, kritisiert Manuel Matzke: "Wir fordern den gesetzlichen Mindestlohn." Gern auch gegen Haftkostenbeteiligung, fügt er hinzu.

Der gesetzliche Mindestlohn ist soeben auf 9,82 Euro gestiegen. Wäre dies das neue Maß, "dann wäre die Hälfte der jetzt Arbeitenden beschäftigungslos", sagt Frank Arloth, Ministerialdirektor im bayerischen Justizministerium. Die Unternehmer würden abwandern, die Eigenbetriebe wären unproduktiv. Denn so attraktiv sich der niedrige Lohn für Unternehmen auf dem Papier ausnimmt: Aufs Ganze gesehen liegt die Qualifikation von Strafgefangenen weit unter dem Standard auf dem freien Markt. Verschiedene Studien veranschlagen den Anteil der Gefangenen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bei bis zu zwei Dritteln, und annähernd die Hälfte hat nicht einmal einen Schulabschluss. In Nordrhein-Westfalen hat vor ein paar Jahren eine Evaluation unter Insassen des Jugendstrafvollzugs sogar eine Quote von zwei Dritteln ohne Abschlusszeugnis ergeben. Und der größere Teil derer, die inhaftiert werden, ist vor der Haft keiner geregelten Arbeit nachgegangen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Straffälligenhilfe hängt daher ihre Lohnerwartungen niedriger: Sie fordert eine Erhöhung des Ecklohns von neun auf 15 Prozent, damit läge der Tagessatz über 23 Euro. Das wäre schon ein Schritt.

Erst seit der Weimarer Republik soll Arbeit im Gefängnis bei der Resozialisierung helfen

Das Bundesverfassungsgericht wird sich ohnehin nicht so sehr für die Gewinnmargen der Knastbetriebe interessieren. Das Schlüsselwort, an dem sich das Verfahren entscheiden wird, lautet Resozialisierung. Historisch betrachtet war Arbeit eher dazu gedacht, die Strafe zu verschärfen, man ließ die Häftlinge in Steinbrüchen oder auf Galeeren schuften. Später wollte man schlicht ihre Arbeitskraft ausnutzen; in Nürnberg wurden Bettler und Kriminelle im späten 16. Jahrhundert zum Gassenkehren eingesetzt, mit Eisenschellen und Kette an den Fußgelenken. Erst im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich allmählich der Gedanke, die Strafe zur "Besserung" einzusetzen. In der Weimarer Republik war es Justizminister Gustav Radbruch, der entsprechende Reformen vorantrieb. Auch die DDR wollte die Gefangenen zu "produktiver Arbeit" erziehen. Und in der Bundesrepublik ist seit einer grundlegenden Reform im Jahr 1977 Resozialisierung das alleinige Ziel des Strafvollzugs.

Nun kann eine Beschäftigung im Strafvollzug zwar in vielerlei Hinsicht zur Wiedereingliederung ins berufliche und gesellschaftliche Leben beitragen: durch Erziehung zur Pünktlichkeit, durch Einüben von Konfliktfähigkeit und nicht zuletzt auch durch die schlichte Fortbildung. Aber Geld spielt eben auch eine Rolle. Schon, um Schulden abzuzahlen, die ansonsten den Start ins Leben nach der Haft erschweren. Der größere Teil des Lohns wird als Überbrückungsgeld für die Zeit nach der Entlassung angespart, nur drei Siebtel stehen als "Hausgeld" für den Konsum zur Verfügung.

Arbeit soll sich lohnen

Aber das Entgelt hat eben auch eine ganz prinzipielle Funktion. Es soll den Menschen den Wert der Arbeit für ein gelungenes Leben deutlich machen. Bezahlte Arbeit im Gefängnis könne nur dann zur Resozialisierung beitragen, "wenn dem Gefangenen durch die Höhe des ihm zukommenden Entgelts in einem Mindestmaß bewusst gemacht werden kann, dass Erwerbsarbeit zur Herstellung der Lebensgrundlage sinnvoll ist". So hat es das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil von 1998 ausgedrückt. Es erklärte den damaligen Ecklohn von fünf Prozent für verfassungswidrig und bewirkte eine Anhebung auf neun Prozent.

Zugleich brachte das Gericht eine weitere Währung ins Spiel, die Freiheit. Die Gefangenen sollten sich "Freistellungstage" erarbeiten können. Inzwischen kann, wer in Bayerns Gefängnissen zwei Monate am Stück arbeitet, einen Tag früher entlassen werden. In NRW gibt es zwei Tage für drei Monate. Auch nicht gerade üppig. Seit Jahren gefordert wird zudem der Aufbau einer Rentenanwartschaft, um Straftätern die Altersarmut zu ersparen - bisher ohne Erfolg.

Weil also der Staat beim Geld wie bei der Freiheit knausert, rechnen die meisten Beobachter damit, dass nun ein weiterer Anstoß aus Karlsruhe folgt. Zwar gibt es keine letztgültige empirische Bestätigung für die positive Wirkung der Gefängnisarbeit. Die Wissenschaftlerin Katrin Hüttenrauch stellt aber in einer Studie einen klaren Zusammenhang zwischen niedrigem Lohn und Gefangenenfrust her. Der arbeitende Inhaftierte habe dadurch das Gefühl, vom Staat ausgebeutet zu werden. So sieht es auch Christine Graebsch, Anwältin des bayerischen Beschwerdeführers. Aus der krimilogischen Forschung wisse man, dass Arbeit im Gefängnis gerade auch wegen der Anerkennung, die im angemessenen Lohn steckt, eine resozialisierende Wirkung habe. "Aus dieser Perspektive ist es vernichtend, was die Gefangenen bekommen. Die Anerkennungskomponente fehlt komplett."

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