Protestaktion gegen Klimapolitik:Legitim oder völlig überzogen?

Protestaktion gegen Klimapolitik: Protest am Ende der Autobahnabfahrt in Fürstenried: Zwei Männer und eine Frau blockieren die vielbefahrene Straße und fordern mit Plakaten eine klimafreundlichere Politik.

Protest am Ende der Autobahnabfahrt in Fürstenried: Zwei Männer und eine Frau blockieren die vielbefahrene Straße und fordern mit Plakaten eine klimafreundlichere Politik.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Klimaaktivisten blockieren mitten im Berufsverkehr eine Autobahnausfahrt. Ein gewaltfreier Protest, trotzdem kommt es offenbar zu einer bedrohlichen Situation. So stehen Münchner Politiker zu derlei Aktionen.

Von Thomas Anlauf

Der Treffpunkt am frühen Montagmorgen ist bewusst gewählt. Die kurze Kloster-Seeon-Straße ist eine ruhige Wohngegend, von dort führt ein kleiner Weg vor zum Kreisverkehr an der Autobahn A95, das Ziel der Klimaaktivisten. Um 7.40 Uhr geht es los, wenig später legen lediglich zwei Umweltschützer den morgendlichen Berufsverkehr an der Autobahnabfahrt für Stunden lahm, indem sie sich auf der Straße festkleben. Ein dritter Aktivist hält unterdessen eine Rettungsgasse frei.

Ein gewaltfreier Protest, trotzdem kommt es offenbar zu einer bedrohlichen Situation: "Ein Autofahrer ist immer weiter gegen mich gefahren und hat sogar einen Schlagstock aus dem Auto geholt", erzählt einer der Klimaaktivisten später der SZ. Die morgendlichen Szenen, die Pressefotografen aufgenommen haben, sehen nach Gewalt von Autofahrern gegen die Umweltschützer aus. Ein Mann zerrt einen Protestierenden von der Straße auf eine Wiese, ein anderer scheint einen Klimaaktivisten regelrecht zu jagen. Wenn Klimaaktivisten auf Autofahrer treffen und eine Straße blockieren, reagieren einige Pendler immer häufiger aggressiv und schreiten zur Selbstjustiz. Was ist los auf Münchens Straßen?

Protestaktion gegen Klimapolitik: Ein Autofahrer zerrt einen Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" von der Straße.

Ein Autofahrer zerrt einen Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" von der Straße.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Die meisten Politiker im Münchner Rathaus halten derartige Protestaktionen für durchaus legitim. "Ich freue mich über alle Protestformen, die kreativ und neu sind, das darf auch ruhig mal ärgern", sagt ÖDP-Fraktionssprecher Tobias Ruff. Der neu gewählte Landeschef seiner Partei betont zwar, dass bei allem Verständnis für Proteste "Sachbeschädigung gar nicht geht", allerdings dürfe ein Autofahrer auf dem Weg zur Arbeit wegen einer Kundgebung "auch mal einen Umweg fahren müssen".

Die SPD-Stadträtin Jutta Schmitt-Thiel kommt selbst aus der Bewegung der Nichtregierungsorganisationen. Für sie seien "vielfältige Proteste sehr wichtig", gerade auch im Klimaschutzbereich, wie man bei der Fridays-for-Future-Bewegung in den vergangenen Jahren gesehen habe. Der umweltpolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion geht es auch darum, miteinander im Dialog und Austausch zu sein. Deshalb sei auch der neu geschaffene Klimarat in München ein "hilfreiches Gremium. Dort diskutieren Umweltaktivisten, Wissenschaftler, Wirtschaftsexperten und Stadtratsmitglieder über Beschlussvorlagen im Stadtrat und weitere Maßnahmen, um die Klima-, Verkehrs- und Energiewende voran zu bringen.

Einer, der seit Jahren gemeinsam mit Umweltaktivisten zusammenarbeitet, ist Christian Hierneis. Er ist Vorsitzender der Kreisgruppe des Bundes Naturschutz und hat auch junge Menschen unterstützt, die im vergangenen Jahr im Forst Kasten gegen eine mögliche Rodung wochenlang im Wald protestierten. "Gewalt gegen Menschen und Sachen geht natürlich gar nicht", sagt der Landtagsabgeordnete der Grünen. "Das konterkariert ja die Sache."

Allerdings sei es auch wichtig, Aufmerksamkeit zu erregen und Eindruck auf die Politik zu machen. "Wenn man den Forst Kasten besetzt, ist das vielleicht nicht legal, aber die Menschen werden sensibilisiert für das Thema", sagt Hierneis. Anders ist das nach seiner Ansicht bei Straßenblockaden wie der am Montag an der Garmischer Autobahn. "Da geht es doch nur darum, die Straße zu sperren und nicht um die Sache", findet er.

Einen Schritt weiter geht da der Linke-Stadtrat Thomas Lechner. Um die Klimakrise zu meistern, sei "ziviler Ungehorsam dringend notwendig". Lechner war im vergangenen Jahr als politischer Beobachter mehrmals im Forst Kasten und wies Polizei und Stadtverwaltung darauf hin, wenn das Vorgehen der Polizeibeamten gegen Demonstranten aus seiner Sicht zu beanstanden war. Nach wochenlanger Baumbesetzung hatten Spezialkräfte Protestierende von einem Baum geholt, danach gab es zum Teil heftige Kritik über die Verhältnismäßigkeit des Einsatzes.

Etwa hundert Autos mussten zurückgelotst werden

Lechner war auch Organisator eines Camps für Demonstrierende auf der Theresienwiese, die gegen die Automobilausstellung IAA protestierten. Damals war er nicht mit allen Aktionen ganz einverstanden, auch wenn er die Beweggründe nachvollziehen kann. Eine umstrittene Aktion war beispielsweise, als sich mehrere Menschen von einer Brücke über die Autobahn abseilten und die Polizei die Trasse zeitweise sperren musste. "Das muss man nach bestem Wissen und Gewissen abwägen, was man tut", sagt Lechner. Allerdings wisse er, dass die Leute erfahrene Kletterer seien. Man müsse die Debatte zu einer Legitimation des gewaltfreien Widerstands deshalb nicht kriminalisieren.

Damit spielt Lechner auf eine Aussage des CSU-Fraktionsvorsitzenden Manuel Pretzl im vergangenen Jahr an, der in einer Stadtratssitzung zu den Abseilaktionen an der Autobahn von versuchtem Mord gesprochen haben soll. Er stehe auch heute noch zu seinem Wort von damals, sagt er. Schließlich gebe es bei Protesten "natürlich eine absolute Grenze, wo Gefahr für Leib und Leben besteht". Das Demonstrationsrecht sei ein wahnsinnig hohes Gut, sich auf einer viel befahrenen Straße festzukleben, "ist aber keine Demonstration", so Pretzl.

Die Polizei berichtete am Montagnachmittag, dass im morgendlichen Berufsverkehr "mehrere Notrufe" eingegangen seien, dass mehrere Personen die Autobahnabfahrt Fürstenried an der Kreuzung zur Liesl-Karlstadt-Straße blockieren würden und die Autos nicht mehr weiterfahren könnten. Etwa zehn Polizeistreifen waren im Einsatz, letztlich saßen zwei von drei Aktivisten der Gruppe "Letzte Generation" mit jeweils einer Hand auf der Straße festgeklebt. Ein 20-jähriger Münchner, ein 24-jähriger Regensburger und eine 33-jährige Frau aus dem Landkreis Oberallgäu seien wegen Nötigung im Straßenverkehr angezeigt worden. Am Mittag waren die drei wieder auf freiem Fuß.

Etwa einhundert Autos mussten während des Polizeieinsatzes wieder rückwärts auf die Autobahn gelotst werden, damit sie die nächste Abfahrt stadteinwärts nehmen konnten. Verletzt wurde niemand, es gab keine Sachbeschädigungen. In einer schriftlichen Erklärung der "Letzten Generation" heißt es, "es ist unsere moralische Pflicht, gegen diesen fossilen Wahnsinn friedlich Widerstand zu leisten. Lasst uns so handeln, als ob unser Überleben davon abhängt, denn das tut es."

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