Antisemitismus auf der Documenta:Schwarze Stunden

Antisemitismus auf der Documenta: Momentaufnahme: Das verhüllte Banner "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi am Dienstagmittag. Wegen seiner antisemitischen Motive sollte es im Laufe des Abends abgebaut werden.

Momentaufnahme: Das verhüllte Banner "People's Justice" des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi am Dienstagmittag. Wegen seiner antisemitischen Motive sollte es im Laufe des Abends abgebaut werden.

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Erst verhüllt, dann abgebaut: die beschämende Geschichte des antisemitischen Kunstwerks auf der Documenta in Kassel.

Von Jörg Häntzschel und Catrin Lorch

Es ist mal wieder an der Zeit, an Margot Friedländer zu denken. Sie ist eine der letzten Holocaust-Überlebenden, ihre Mutter, ihr Vater, ihr Bruder wurden in Vernichtungslagern ermordet, sie selbst lebte in Verstecken, sie färbte sich das Haar rot, ließ sich die Nase verändern, bloß nicht jüdisch aussehen, sie wurde bespitzelt, verraten, verhaftet und in das KZ Theresienstadt gesperrt, 1946 ging sie in die USA. Zu diesem Zeitpunkt war sie gerade Mal Mitte zwanzig.

Margot Friedländer ist eine von Millionen Menschen, die in Deutschland unter den Verbrechen der Nazis gelitten haben, und sie hatte damit noch Glück, weil sie nicht zu den Millionen industriell ermordeten Juden zählt. Im Alter von 89 Jahren hat sie in New York ihre Koffer gepackt und ist nach Deutschland zurückgekehrt. Um auf Podien und in Schulen zu erzählen, was der Hass anrichtet, wozu Menschen fähig sind. In Klassenzimmern sagt sie: "Ich bin zurückgekommen, um euch die Hand zu reichen und euch zu bitten, dass ihr Zeitzeugen seid, weil wir nicht mehr lange hier sein werden."

Geschichten wie ihre sind wichtig, nach dem Tag, an dem mitten in Deutschland ein hundert Quadratmeter großes Mahnmal dafür stand, dass Judenhass in Deutschland nicht nur salonfähig ist, sondern auch steuerfinanzierte Bühnen gezimmert bekommt.

Am Montagmorgen ist auf der Weltkunstschau Documenta in Kassel das Riesenwimmelbild "People's Justice" entdeckt worden, neun mal zwölf Meter an einem Gerüst im Herzen Kassels, das Juden als Schweine und Monster zeigt. Dort war es zwei Tage nach der Voreröffnung für Kritiker und Fachbesucher aufgehängt worden, angeblich wegen notwendiger Reparaturarbeiten. Am Dienstagabend sollte es abgebaut werden, wie Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle am Dienstagnachmittag ankündigte. Die Stunden dazwischen waren schwarze.

Da stand das Ganze, Antisemitismus in Trauerflor, aber wo waren die Demos?

Am Montagabend ordneten die Verantwortlichen eine Art Performance an: Das Bild solle nicht abgebaut werden, wie es vielfach gefordert worden war, etwa vom Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, oder der israelischen Botschaft, die sich an die "Propaganda Goebbels" erinnert sah. Stattdessen ließ man das Bild schwarz verhängen. Abgedeckt solle es zu einem "Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs im Moment" werden, teilten die Künstler des indonesischen Kollektivs Taring Padi mit. Das Bild stehe "in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung".

Da stand es, Antisemitismus in Trauerflor. Es sammelten sich davor: Schulklassen, denen Lehrer dort mal zeigen konnten, was verdeckter, aber sehr präsenter Judenhass ist, ganz aktuell, nicht aus den alten Geschichten Neunzigjähriger. Es sammelten sich nicht davor: Hunderte Nachfahren von Holocaust-Überlebenden, denen das Herz bei dem Anblick schmerzt.

Am Dienstagnachmittag sagte Kulturstaatsministerin Claudia Roth: "Es ist überfällig, dass dieses Wandbild, das eindeutig antisemitische Bildelemente aufweist, jetzt von der Documenta entfernt wird."

Schon seit Jahresbeginn hatte es Vorwürfe gegen das indonesische Kollektiv Ruangrupa gegeben, das die Documenta in diesem Jahr kuratiert. Von Antisemitismus war die Rede, von zu großer Nähe zum BDS. Claudia Roth hatte die Kunstfreiheit beschworen, Bundespräsident Steinmeier hatte die Macher gleich vorab verwarnt, auch wenn sie stets beteuert hatten, sie würden keinerlei Grenzüberschreitungen zulassen.

Sie haben sie nicht nur zugelassen, sie setzten sie weiter in Szene, monströs präsent, mitten in Deutschland, und stehlen sich selbst aus der Verantwortung.

Der Kontrollverlust war von vornherein vorsätzliches Prinzip des Ganzen

Documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann meint laut einer Mitteilung, ihr Hinweis, "dass das Werk nicht für Kassel, nicht für die Documenta Fifteen konzipiert wurde, sondern im Kontext der politischen Protestbewegung Indonesiens", sei in irgendeiner Weise Erklärung genug. Die Geschäftsführung sei "keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur Prüfung vorlegen lassen kann, und darf das auch nicht sein." In einer Nachricht an ihre Mitarbeiter, die der SZ vorliegt, schrieb sie: "Da uns versichert wurde, dass die antisemitische Lesart nicht intendiert war, sondern die Symbolik im indonesischen Kontext zu verstehen ist, dies aber in Deutschland an die Grenzen des Darstellbaren kommt, sehen wir das nicht als Abschlussstatement, sondern als Ausgangspunkt für eine weitere Diskussion."

Damit folgt sie der Argumentation von Taring Padi, das in der Pressemitteilung erklärt: "Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und anderen visuellen Vokabeln in den Werken" seien "kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen". Als sei Judenhass kulturspezifisch, als sei es nur in Deutschland grässlich, Juden zu verfratzen, als sei es hilfreich für "den Dialog" oder auch nur einen einzigen Palästinenser, wenn der Hass geschürt wird. Auf der fünfzehnten Documenta haben Ressentiments über die Kunst gesiegt, und das lässt sie schwer beschädigt zurück.

Da hilft auch das Statement nicht mehr, das Schormann am Dienstagabend abgab. Anders als tags zuvor sprach auch sie jetzt von "antisemitischer Bildsprache" und räumte ein, das vor der Eröffnung gegebene Versprechen gebrochen zu haben, bei antisemitischen Inhalten sofort einzuschreiten. "Ausdrücklich entschuldigen wir uns auch dafür", schreibt sie, "dass die antisemitischen Darstellungen nicht vor der Hängung der Arbeit erkannt wurden." Dass sie diese auch lange nach der Hängung, als bereits alle Welt sie als antisemitisch identifiziert hatte, nicht als solche erkannt hatte, verschwieg sie. Den naheliegenden, von vielen erwarteten und von einigen bereits geforderten Rücktritt, scheint sie nicht in Erwägung gezogen zu haben.

Im Nachhinein wird sichtbar, was da unter dem angeblichen Vorsatz des Dialogs recht vorsätzlich stattfand: Das Kollektiv Ruangrupa, in dem keiner der Hauptverantwortliche ist, hat die Aufsicht an einzelne Künstlerteams übertragen, hakt man nach, wer die Tausenden Kunstwerke von 1700 Künstlern begutachtet hat, wer dafür in der Verantwortung steht, verhallt die Frage irgendwo in Kassel. Dabei kann eine Ausstellung nur gelingen, wenn die einzelnen Werke einem Kurator bekannt sind, der sie in eine sinnvolle, funktionierende Beziehung zueinander setzt. Dabei kann ein echter Dialog nur gelingen, wenn ein Austausch passiert, nicht, wenn man unterschiedliche Weltsichten ohne Rücksicht aufeinanderprallen lässt.

Die Documenta, die sicherlich die letzte mit dieser besonderen Form der künstlerischen Freiheit ist, hat einen echten Dialog zwischen Kulturen auf absehbare Zeit massiv erschwert. Was bleibt, nach den schwarzen Stunden? Es gilt, Hände zu reichen. Und Zeitzeugen zu sein.

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