Energiekrise:TÜV-Bericht: Isar 2 könnte problemlos länger laufen

Energiekrise: Das Kernkraftwerk Isar 2 soll Ende des Jahres stillgelegt werden. Angesichts der Energieknappheit häufen sich die Forderungen nach einer Verlängerung der Laufzeit.

Das Kernkraftwerk Isar 2 soll Ende des Jahres stillgelegt werden. Angesichts der Energieknappheit häufen sich die Forderungen nach einer Verlängerung der Laufzeit.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Laut einem Gutachten reicht der Brennstoff bis Sommer 2023. Sogar eine Reaktivierung des stillgelegten Atomkraftwerks Gundremmingen wäre möglich.

Von Andreas Glas und Kassian Stroh

"Reine Sturheit", "fachlicher Blödsinn": Am Montag wurde CSU-Chef Markus Söder rhetorisch etwas aggressiv bei der Bemerkung eines Interviewers, wonach Grüne und SPD im Bund die drei letzten deutschen Atomkraftwerke trotz der drohenden Energiekrise nicht länger laufen lassen wollen. Am Donnerstag gab sich der Ministerpräsident staatsmännischer: Alle Formen von Energie müssten jetzt genutzt werden, auch die Kernenergie. Zumindest müsse der niederbayerische Meiler Isar 2 bei Landshut so lange betrieben werden, wie es die Brennstäbe hergäben, bis Mitte nächsten Jahres. "Das heißt, all diese Argumente, die vom Bund ins Feld geführt werden, greifen nicht", klagte Söder erneut - also sicherheitstechnische Bedenken oder das Argument, es ließen sich auf die Schnelle keine neuen Brennstäbe mehr besorgen. "Es handelt sich am Ende nicht um eine technische, sondern um eine rein politische Entscheidung."

Was die Technik betrifft, hat die bayerische Staatsregierung seit zwei Monaten ein siebenseitiges Papier in den Akten, auf das sich Söder stützt. Im Auftrag des bayerischen Umweltministeriums hat der TÜV Süd eine Bewertung geschrieben, ob und wie es möglich wäre, Isar 2 länger am Netz zu lassen als bis zum 31. Dezember 2022, an dem die bisherige Genehmigung für das letzte bayerische Kernkraftwerk endet. Das TÜV-Gutachten liegt der Süddeutschen Zeitung vor. "Aus sicherheitstechnischer Sicht" bestünden "keine Bedenken", heißt es ganz am Ende.

Die Anlage werde ja fortlaufend überwacht, es gebe keine Hinweise darauf, dass etwas nicht in Ordnung sein könnte. Und dass die große "periodische Sicherheitsüberprüfung", die ungefähr alle zehn Jahre ansteht, eigentlich überfällig ist, sei auch kein Problem - das könne man während des laufenden Betriebs machen, schreiben die TÜV-Experten. Ihr Urteil kommt nicht überraschend, schließlich werden sie vom bayerischen Umweltministerium regelmäßig damit betraut, den Atommeiler zu überprüfen. Sähen sie größere Mängel, stünde dessen Betrieb ja jetzt schon in Frage.

Gut 5000 Gigawattstunden Reserve

Überraschender hingegen klingen die Passagen, in denen sie skizzieren, wie ein weiterer Betrieb aussehen könnte, auch wenn das Kraftwerk die dafür eigentlich nötigen Uran-Brennstäbe bisher nicht hat. Ende des Jahres bestehe in jedem Fall eine "Reaktivitätsreserve", heißt es in der Analyse. Wenn man die nutze, könne die Anlage ungefähr 80 Tage weiterlaufen. Danach könnte man die alten Brennelemente neu zu einem Reaktorkern zusammensetzen, der könnte dann weitere drei Monate laufen. So ließen sich bis zum August 2023 mehr als 5000 Gigawattstunden Strom produzieren, rechnet der TÜV vor - das ist nicht ganz die Hälfte der bisherigen durchschnittlichen Jahresproduktion. Isar 2 ist das stärkste deutsche Atomkraftwerk.

Der August 2023 ist als Zieldatum auch deswegen interessant, da man bis dahin frische Brennelemente besorgen könne, wenn es nach dem TÜV geht: Das sei "innerhalb von 12 Monaten" möglich. Sprich: Wenn sich Deutschland bald für eine Laufzeitverlängerung entschiede und die Betreiber entsprechend nachbestellten, dann könnte Isar 2 nahezu ohne Einschränkung in Betrieb bleiben. Das ist das, was Söder sagt. Und zwar für "mindestens fünf weitere Betriebszyklen", wie der TÜV schreibt, also grob gesprochen bis zum Jahr 2028, weil dann das Zwischenlager mit den abgebrannten Stäben voll ist. Das aber sagt Söder nicht. Er spricht von 2025 als Zieldatum.

Energiekrise: Das Becken für die Brennelemente im Kraftwerk Isar 2. Die Vorräte reichen laut TÜV noch bis August 2023.

Das Becken für die Brennelemente im Kraftwerk Isar 2. Die Vorräte reichen laut TÜV noch bis August 2023.

(Foto: Sebastian Beck)

Nicht jeder Experte ist jedoch so optimistisch wie der TÜV Süd. Es sei viel zu spät, um noch Brennstoff zu bestellen, das hätte man "lange vorher in Angriff nehmen müssen", sagte Johannes Kemper von der Bundesnetzagentur im Mai. Er sprach von einer Bestelldauer von 18 bis 24 Monaten, was für Söder dann wohl unter die Rubrik "Blödsinn" fällt. Vor allem aber sind da die Bedenken des Bundesumweltministeriums, wo man offenkundig der Meinung ist, dass der TÜV Süd sich die Dinge zu leicht macht - weniger in technischer Hinsicht, eher in Sicherheitsfragen.

Bei einer Expertenanhörung im Mai im Landtag erinnerte Gerrit Niehaus, Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit im Bundesumweltministerium, jedenfalls daran, dass es zwar vertretbar gewesen sei, wegen der geplanten Abschaltung die große Sicherheitsprüfung ausfallen zu lassen, die 2019 abgeschlossen sein sollte. Seither seien allerdings drei weitere Jahre vergangen, ohne entsprechende Prüfung. Auf diesen dreijährigen "Sicherheitsrabatt" nochmals einen Rabatt zu gewähren, sei "nicht akzeptabel", sagte er. Niehaus sprach von einer "Risikoerhöhung" und nannte die Prüfungen, die nachgeholt werden müssten, einen "aufwändigen Prozess", der normalerweise mehrere Jahre dauere und demnach nicht so einfach neben dem Regelbetrieb zu leisten wäre.

Neben den Debatten über Sicherheit und Brennstäbe gibt es noch einen Aspekt, der eine Laufzeitverlängerung zumindest erschwert und im TÜV-Gutachten keine echte Rolle spielt: die Personalsituation in den noch laufenden Kernkraftwerken. Auch hier ist die Planung seit inzwischen elf Jahren einzig und allein auf den 31. Dezember 2022 ausgerichtet, den Tag, an dem das Atomzeitalter in Deutschland programmgemäß zu Ende gehen soll. Zwar gebe es "eine große Bereitschaft der Belegschaft weiterzumachen", sagte ebenfalls bei der Anhörung im Landtag der Standortleiter von Isar 2, Carsten Müller. Nach der Stilllegung beginnt zudem der Rückbau, weshalb Personal teils weit über das Jahr 2022 hinaus in Niederbayern beschäftigt bleibt. Allerdings sprach Müller auch darüber, dass für eine Laufzeitverlängerung zusätzliche Fachkräfte notwendig seien, die etwa aus den stillgelegten Kraftwerken im schleswig-holsteinischen Brokdorf oder im niedersächsischen Grohnde geholt werden müssten. Dieses Personal müsse aber erst mal überzeugt werden, weshalb der Isar-2-Chef zur Eile mahnte.

"Irreversibel"

Die Deadline, die Müller im Landtag nannte, auch mit Blick auf die Beschaffung von Uran für neue Brennstäbe und für Sicherheitsprüfungen, die nachgeholt werden müssten: Ende Mai. Danach könne man "nicht mehr umsteuern", dann sei der Atomausstieg "irreversibel", sagte Müller. Inzwischen? Ist Ende Juni, Müllers Frist ist längst verstrichen. Doch Markus Söder fordert weiterhin, Isar 2 laufen zu lassen - und beruft sich hartnäckig auf das TÜV-Gutachten des Umweltministeriums, das SPD-Landtagsfraktionschef Florian von Brunn "politisch eingefärbt" nennt. Allerdings: Seit diesem Freitag klingen auch die Stellungnahmen der Firma Preussen-Elektra, die Isar 2 betreibt, nicht mehr so, als sei die Deadline abgelaufen. Nun heißt es, man habe zuletzt "klargemacht, dass ein Weiterbetrieb von Isar 2 möglich wäre, wenn unser Kraftwerk gebraucht würde".

Die TÜV-Gutachter breiten sogar noch eine ganz andere Möglichkeit dafür aus, in Bayern Atomstrom zu gewinnen: Sie sähen technisch auch kein Problem darin, den Block C des Kraftwerks Gundremmingen, der seit Silvester 2021 abgeschaltet ist, zu reaktivieren. Die Vorarbeiten dafür dürften etwa sechs Monate dauern, schreiben sie, dann könnte man ihn weitere sechs Monate mit einem Reaktorkern fahren, den man aus vorhandenen Brennelementen zusammensetzt. So wäre wieder ein Jahr vergangen, in dem dann neue Brennstäbe in den schwäbischen Meiler gebracht werden könnten. Und auch der ließe sich mit diesen noch fünf weitere Jahre betreiben. Das freilich ist eine eher hypothetische Option: Gundremmingen wieder ans Netz zu nehmen, fordert politisch derzeit niemand. Nicht einmal Söder.

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