Schwimmen:Ein Weltmeister, von dem fast keiner etwas mitbekommt

Schwimmen: Dritter Platz, Medaille Nummer fünf: Florian Wellbrock in Budapest.

Dritter Platz, Medaille Nummer fünf: Florian Wellbrock in Budapest.

(Foto: Ferenc Isza/AFP)

Florian Wellbrock holt über zehn Kilometer Bronze - und stellt einen WM-Rekord von Michael Groß ein. Doch zum Ruhm seines Vorgängers fehlt ihm etwas Entscheidendes: die Aufmerksamkeit des deutschen Fernsehpublikums.

Von Sebastian Winter

Michael Groß hat den Wettkampf von Florian Wellbrock am Mittwoch nicht verfolgt, jedenfalls hatte der 58-Jährige das nicht vor. Zu viel zu tun, Mittagszeit, schwierig, sagte Groß am Vorabend am Telefon. Aber natürlich hatte der fünfmalige Weltmeister und dreimalige Olympiasieger, dem sie auf der Straße manchmal immer noch "Albatros" hinterherrufen und mit dem sie Selfies machen, die Dimension dieser Geschichte erkannt: Wellbrock hat im Lupasee nahe Budapest zwar seinen Freiwasser-Weltmeisterschaftstitel über zehn Kilometer nicht verteidigt, aber Bronze gewonnen hinter den Italienern Gregorio Paltrinieri und Domenico Acerenza. Nur 0,3 Sekunden lag der Deutsche im Ziel vor dem Franzosen Marc-Antoine Olivier, das Fotofinish musste entscheiden.

Mit dieser Medaille, über die der 24-Jährige nicht einmal besonders glücklich war, weil er nach seinen Siegen in der Staffel und über die Fünf-Kilometer-Strecke die Favoritenrolle trug, hat Wellbrock nun einen sehr alten Rekord eingestellt: Fünf Medaillen eines männlichen deutschen Schwimmers bei ein- und derselben WM. Vor 40 Jahren hatte Groß, der Albatros, bei der WM in Guayaquil, Ecuador, ein solches Edelmetall-Quintett gewonnen - damals freilich nur im Becken.

Man könne diese Zeiten daher auch nicht vergleichen, sagte Groß, der nach eigenen Angaben noch nie selbst mit Wellbrock zusammengetroffen ist. "Aber klar freue ich mich für Florian, extremer Respekt vor so einer Leistung. Der Ottonormalverbraucher weiß ja nicht, was für eine Arbeit dahintersteckt. Licht entsteht im Schatten."

"Ich musste erst einmal googeln, bis ich den Stream gefunden habe", sagt Michael Groß

Groß ist nicht unbedingt ein großer Freiwasser-Fan, er war schon immer im Becken zu Hause. "Ich würde das selbst nie machen, weil es für mich zu langatmig ist", sagt er. Er würde auch die Formate fernsehtauglicher machen, im Becken maximal eine Stunde zur Primetime, "18 Uhr bis 18.45 Uhr und auch nur die Finals zeigen, zack", statt wie in Budapest über teils mehr als zwei Stunden verteilt mal ein Finale, dann wieder ein Halbfinale und zwischendurch noch eine längliche Siegerehrung. Vielleicht haben die öffentlich-rechtlichen Sender die Wettkämpfe von dieser WM - ob nun im Becken oder im Freiwasser - auch deshalb nicht mehr live übertragen.

Schwimmen: "Wir hatten ein Millionen-Publikum": Michael Groß, dessen Erfolge noch im Fernsehen übertragen wurden - anders als jene von Wellbrock.

"Wir hatten ein Millionen-Publikum": Michael Groß, dessen Erfolge noch im Fernsehen übertragen wurden - anders als jene von Wellbrock.

(Foto: imago)

Auf SZ-Anfrage schrieb die ARD, dass der Hintergrund "zum einen das deutlich zurückgegangene Interesse, zum anderen aber auch die in der Vergangenheit häufig für das deutsche Fernsehpublikum sehr ungünstigen Sendezeiten" waren. Der Marktanteil lag demnach bei der WM 2003 in Barcelona bei 14,8 Prozent, 2015 in Kasan bei 7,9 Prozent. Groß findet das schade, "meine globalen Wettbewerbe liefen in Deutschland alle nachts, Ecuador, L.A., Seoul, und wir hatten ein Millionen-Publikum". 1982 ist Groß, wie er erzählt, nach der WM auf dem Dach des Anden-Zuges gefahren und hat in der Nähe von Ecuadors Hauptstadt Quito einen Vulkan bestiegen, 1984 hat er eine Las-Vegas-Tour gemacht, 1991 nach Perth eine Reise durch Down Under. "Das ist jetzt vielleicht ein bisschen romantisiert", sagt Groß, der inzwischen Unternehmensberater ist, aber auch da hätten sich die Zeiten geändert.

Am Samstag hat er sich Wellbrocks Bronze über die 1500 Meter angeschaut, "aber ich musste erst einmal googeln, bis ich den Stream gefunden habe".

Wellbrock - ein Weltmeister also, von dem keiner etwas mitbekommt?

Bei den Deutschen tut sich etwas, nachdem der Sport ziemlich darniederlag

So ist es nun auch nicht, auf der Weltbühne des Schwimmens in Budapest ist er sehr präsent, auch die ausländischen TV-Stationen wollen Interviews mit ihm, die Geschichte mit seinem Rivalen Mihaijlo Romantschuk, der seit Monaten auf Wellbrocks Wunsch hin bei ihm in Magdeburg trainiert, ging um den Planeten. Aber 15 Kilometer nördlich von Budapest zeigt sich auch, dass das vielleicht nicht der letzte Schluss ist: WM-Medaillen zu vergeben vor ein paar Dutzend Sonnenhungrigen (und fast ebenso vielen Kameras) am Badesee. Unter der Margaretenbrücke hindurchschwimmen in der Donau mitten in Budapest, das wäre was gewesen, aber bestimmt auch verboten wegen der Ausflugsdampfer.

Es ist andererseits gerade auch keine One-Man-Show der Deutschen in Budapest, sie schwimmen (und springen) stark, fast alle in die Finals hinein, zweimal Gold, viermal Silber und dreimal Bronze gab es schon. Es tut sich etwas, nachdem der Sport ziemlich darniederlag, 2012 in London, 2016 in Rio, auch später noch.

Schwimmen: Selfie mit Silbermedaille: Leonie Beck (links)

Selfie mit Silbermedaille: Leonie Beck (links)

(Foto: Tom Pennington/Getty Images)

Leonie Beck hat nach ihrem Goldrennen mit der Staffel im Freiwasser am Mittwoch ein paar Stunden vor Wellbrock ja auch ihre erste internationale Medaille über die Zehn-Kilometer-Distanz gewonnen, am Ende wurde es Silber in einem hauchdünnen Finish um den Sieg: 0,5 Sekunden hinter der niederländischen Rio-Olympiasiegerin Sharon van Rouwendaal, aber vor der brasilianischen Tokio-Olympiasiegerin Ana Marcela Cunha.

Kopf an Kopf und Arm an Arm war Beck mit ihren Konkurrentinnen geschwommen, es entstand dabei so richtig Spannung. Und zwischendurch gab es auch was zum Schmunzeln: In der Start- und Ziel-Zone, die die Athleten mehrmals passieren auf ihrem ovalen Kurs, hingen Angeln, an deren Ende Getränke baumelten. Da dachte man: Ist schon eine Kunst, auf Weltklasseniveau durchs Wasser zu pflügen und gleichzeitig ein paar Schlucke aus der Pulle zu nehmen.

Wellbrock war platt, als er aus dem Wasser stieg, zehn Kilometer Vollgas, für den Ottonormalverbraucher wirklich undenkbar. Und dann sagte er, angesprochen auf die fünf Medaillen, auf die Egalisierung von Groß' Rekord: "Es ist eine Riesenehre, keine Frage. Und wenn man das dann auf fünf Strecken fünfmal schafft, dann ist das schon etwas sehr Besonderes."

Licht entsteht im Schatten. Jetzt muss das Schwimmen sich nur noch aufmachen, aus dem Schatten der Streams herauszutreten.

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