Energieversorgung:Widerstand gegen Atomkraft bröckelt

Energieversorgung: Die Gegner einer Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerken wie Isar 2 geraten unter Druck. Keiner weiß, wie weit die Gaspreise noch steigen.

Die Gegner einer Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerken wie Isar 2 geraten unter Druck. Keiner weiß, wie weit die Gaspreise noch steigen.

(Foto: Lukas Barth/Getty Images)

Wirtschaftsminister Habeck will erneut prüfen lassen, ob der Strom über den Winter reicht - oder ob die verbliebenen Meiler doch länger laufen sollen.

Von Mike Szymanski, Berlin, und Leopold Zaak

Der Widerstand in der Ampelregierung gegen eine Laufzeitverlängerung der drei verbliebenen Atomkraftwerke Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2 bröckelt weiter. Das vom Grünen-Politiker Robert Habeck geführte Wirtschaftsministerium hat einen neuen Belastungstest für das deutsche Stromnetz in Auftrag geben. Die Übertragungsnetzbetreiber seien gebeten worden, unter nochmals verschärften Annahmen zu prüfen, ob tatsächlich für den kommenden Winter die Stromversorgung sichergestellt sei.

Das Hauptargument gegen einen Weiterbetrieb der Meiler über das Jahresende 2022 hinaus seitens der SPD und der Grünen lautete bislang, Deutschland habe trotz des Krieges in der Ukraine und der Energieabhängigkeit von Russland "kein Stromproblem". Mit dem Stresstest soll geprüft werden, ob diese Annahme tatsächlich noch zu halten ist. In der Ampelkoalition hat sich die FDP bereits offen dafür ausgesprochen, die Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen, und damit Druck auf die Koalitionspartner ausgeübt. Auch die Union will die Atomkraftwerke länger am Netz lassen.

Energieversorgung: Stromversorgung auf dem Prüfstand: Wirtschaftsminister Robert Habeck, hier bei einer Pressekonferenz, hat einen weiteren Belastungstest angeordnet.

Stromversorgung auf dem Prüfstand: Wirtschaftsminister Robert Habeck, hier bei einer Pressekonferenz, hat einen weiteren Belastungstest angeordnet.

(Foto: Kay Nietfeld/dpa)

Eine Sprecherin von Bundeswirtschaftsminister Habeck erklärte am Montag, ein bereits vor geraumer Zeit erfolgter Stresstest habe schon sehr verschärfte Annahmen unterstellt. Unter anderem hatte man damals bereits den Fall durchgerechnet, dass es keine Gas-Importe aus Russland mehr gibt, wie nun befürchtet wird. "Aber dennoch, wir rechnen jetzt noch mal und entscheiden dann auf der Basis von klaren Fakten." Stärker berücksichtigt werden soll dieses Mal auch der Umstand, dass die Gaspreise Dimensionen annehmen könnten, die als kaum mehr bezahlbar gelten. Auch der Bau von schwimmenden LNG-Terminals in Wilhelmshaven und Brunsbüttel, die bei Umweltschützern umstritten sind, soll im Kampf gegen den drohenden Gasmangel helfen. Im Gespräch mit der SZ sagte nun Sascha Müller-Kraenner, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, seine Organisation werde den Bau der geplanten schwimmenden LNG-Terminals nicht mutwillig verzögern. Die DUH hatte im Mai Widerspruch eingelegt gegen die Planungen des Terminals und zunächst einen sofortigen Baustopp gefordert

Unterdessen hat der russische Gas-Riese Gazprom laut der Agentur Reuters gegenüber mindestens einem Großkunden aus Europa einen durch höhere Gewalt verursachten Notfall bei seiner Gasversorgung Europas erklärt. Gazprom könne daher seinen Lieferverpflichtungen ab dem 14. Juni nicht nachkommen, heißt es in einem Schreiben. In Gas-Handelskreisen hieß es, das betreffe Lieferungen nach Deutschland durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1.

Eine Regierungssprecherin führte am Montag aus, dass die Frage der Atomkraftwerke für die Bundesregierung "von Anfang an keine ideologische, sondern eine rein fachliche Frage gewesen" sei. Der Stresstest soll "einige Wochen" dauern, konkreter wurde das Wirtschaftsministerium am Montag nicht. Nina Scheer, die energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, sagte dazu, dass bereits der erste Stresstest gezeigt habe, "dass die Versorgungssicherheit selbst bei einem Gaslieferstopp gewährleistet ist". Scheer betonte, es gebe weitere Faktoren, die gegen Laufzeitverlängerungen sprechen, sie hätten auch unabhängig von den Stresstests Bestand. Zufrieden mit dem Stresstest äußerte sich dagegen der FDP-Politiker Lukas Köhler. "Auch wenn die Nutzung der Kernenergie aus marktwirtschaftlicher Perspektive problematisch ist", wäre die FDP zu einer befristeten Laufzeitverlängerung für die drei Kraftwerke bereit", sagte er.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat bei der Eröffnung des Petersberger Klimadialogs am Montag betont, dass vor allem der Ausbau der erneuerbaren Energien vorankommen soll. "Wir haben nicht zehn, 20, 30 Jahre, nein, uns bleiben noch acht Jahre, um die weltweiten Emissionen nahezu um die Hälfte zu senken", sagte sie. Der Krieg Russlands in der Ukraine sei Anlass für Deutschland, seine Bemühungen bei der Energiewende zu forcieren. Erneuerbare Energien seien "die beste Sicherheitsgarantie dafür, unabhängig zu werden von fossilen Importen und damit auch unabhängig zu werden von autokratischen Regierungen weltweit". Bundeskanzler Olaf Scholz hat bei dem Klimadialog ebenfalls davor gewarnt, durch den Angriff Russlands auf die Ukraine den Klimaschutz aus den Augen zu verlieren. "Was uns nicht passieren darf, das ist, jetzt in eine globale Renaissance der fossilen Energie und insbesondere der Kohle hineinzuschlittern", sagte Scholz. Beim Ausbau der erneuerbaren Energien forderte er mehr Tempo. "Wir müssen raus aus Kohle, Öl und Gas - fast hätte ich gesagt: und zwar mit Vollgas", fügte er hinzu.

Um in dieser Krise Geringverdienende deutlicher zu entlasten, forderte die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang in der ARD-Sendung "Anne Will", dass man für den Herbst und Winter weitere Maßnahmen auf dem Weg bringen müssen. Die Aufgabe werde es sein zu verhindern, dass Geringverdiener in Armut rutschen. "Es geht darum, eine Armutswelle zu verhindern." Daneben seien auch aktuell Notfallmaßnahmen erforderlich. Lang nannte ein Moratorium für Gas- und Stromsperren für nicht bezahlte Rechnungen sowie ein Kündigungsmoratorium für Mieter. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Menschen jetzt oder im Herbst ihre Wohnung verlieren oder im Kalten oder Dunkeln sitzen."

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