Kunstprojekt in Bad Tölz:Tod in Venedig

Kunstprojekt in Bad Tölz: Zwischen den Büschen, manchmal so versteckt, dass man in das Dickicht kriechen muss, finden sich großformatige Plakatwände mit Fotoarbeiten von Katharina Sieverding.

Zwischen den Büschen, manchmal so versteckt, dass man in das Dickicht kriechen muss, finden sich großformatige Plakatwände mit Fotoarbeiten von Katharina Sieverding.

(Foto: Manfred Neubauer)

Auf dem ehemaligen Alpamare-Parkplatz stellt die Galerie für Landschaftskunst Fotoarbeiten, Siebdrucke und Lichtkugeln aus. Die Kunstobjekte werden nicht bewacht, jede Intervention ist Teil des Experiments.

Von Petra Schneider

Das Unkraut, das aus den Ritzen auf dem ehemaligen Alpamare-Parkplatz neben der Wandelhalle in Bad Tölz wächst, hat sich wegen der Hitze gelb verfärbt. Weiden, kleine Birken, Gräser brechen die rissige Asphaltdecke auf, Glasscherben und Zigarettenkippen liegen verstreut an diesem nutzlos gewordenen Ort. Manchmal treiben sich dort Jugendliche herum, Obdachlose oder Neugierige, die wissen wollen, was aus dieser urbanen Brache nach der Schließung des Alpamare geworden ist. Nun - nichts. Eine Leerstelle, die sich die Natur mit Macht zurückerobert.

Florian Hüttner, Tölzer Künstler, Tassilo-Preisträger und Mitbetreiber der Galerie für Landschaftskunst (GFLK), läuft über den Platz. "Ich assoziiere diesen Ort mit Tod", sagt er. Das neue Ausstellungsprojekt, das der Freistaat mit 25 000 Euro fördert und das einen besonderen Bezug zur Kurstadt hat, hat er "Tod in Venedig" genannt. Denn die Motive von Dschungel, Schwüle, Cholera, die den Tod des Protagonisten Gustav von Aschenbach ankündigen, und der verwahrloste Alpamare-Parkplatz wirken auf Hüttner wie ein Verweis auf die Novelle "Tod in Venedig", die Thomas Mann 1911 in seinem Tölzer Landhaus geschrieben hat.

Den fünf Künstlerinnen und Künstlern habe er zur Vorbereitung die Visconti-Verfilmung und Fotos des Parkplatzes gezeigt. Denn die Novelle sei nur der eine Parameter, sagt Hüttner. Der andere ist dieser seltsame Nicht-Ort selbst: Ein urbanes Biotop, das vom Verfall kündet, aber auch von der Aneignung; durch die Natur, durch Menschen. Oder durch die Kunst. Denn zwischen den Büschen, manchmal so versteckt, dass man in das Dickicht kriechen muss, finden sich großformatige Plakatwände mit Fotoarbeiten der renommierten Fotokünstlerin Katharina Sieverding. Und Lichtkugeln, die von Nana Petzet so manipuliert wurden, dass ihre Wirkung auf Insekten beobachtet werden kann.

Ein Dixi-Klo, das offen steht und mit zwei architektonischen Planzeichnungen von Nils Norman ausgestaltet ist. Wie kann das Ekelhafte sinnvoll verwandelt werden? So deutet Hüttner die Installation des Professors der Münchner Kunstakademie. Oder als Anspielung darauf, dass Thomas Mann akribisch über seine Verdauung Buch geführt habe. Clegg & Guttmann, die bereits Anfang der Neunzigerjahre Bücherschränke in Graz und Hamburg als Objektinstallationen im öffentlichen Raum inszeniert haben, bieten auf dem Parkplatz eine "Thomas Mann Public Open Library" an. Ein Teilbereich soll mit einer 17 Meter langen, federleichten Stoffbahn abgrenzt werden und einen verschwiegenen Ort markieren; vielleicht als Verweis auf die homoerotischen Motive in der Mann-Novelle. Die Siebdruckarbeit ist von Philipp Gufler, einem jungen Künstler, der Mitglied des Forums "Queeres Archiv München" ist und sich Schwerpunktmäßig mit Genderfragen beschäftigt.

Kunstprojekt in Bad Tölz: Clegg & Guttmann bieten auf dem Parkplatz eine "Thomas Mann Public Open Library" an.

Clegg & Guttmann bieten auf dem Parkplatz eine "Thomas Mann Public Open Library" an.

(Foto: Manfred Neubauer)

Es ist heiß an diesem Montagnachmittag, und noch ist nicht alles fertig. Hüttner muss noch eine der zwei mal zwei Meter großen Fotoarbeiten von Sieverding auf eine Plakatwand kleben - was nicht so einfach ist, weil die Düsseldorfer Künstlerin darauf bestanden habe, dass die wuchernden Büsche nicht beschnitten werden. Auch der Müll, der vorher schon da war, bleibt. Wie immer bei den Projekten der GFLK in Bad Tölz hat Hüttner, der bei der aktuellen Ausstellung nicht als Künstler sondern als Kurator wirkt, namhafte internationale Künstlerinnen und Künstler eingeladen. Und wie immer sind Thema und Umsetzungen anspruchsvoll.

Spannend ist das Zusammenspiel von Naturwissenschaft und Kunst bei Nana Petzet. Ihre Arbeit "Lichtfalle" geht auf das im zweijährigen Turnus stattfindende "Blue Port"-Event in Hamburg zurück. Unter Einsatz von blauem Licht, das besonders wach macht, soll ein Massenpublikum eine "blaue Stunde" erleben können. Die Hamburger Veranstaltung zieht aber nicht nur viele Menschen, sondern auch massenhaft Insekten an, für die die blaue Stunde zur tödlichen Falle wird. Ausgehend von der naturwissenschaftlichen Beobachtung leitet Petzet, die an den Kunstakademien in München und Hamburg studiert hat, künstlerische Fragestellungen ab: Künstliche Beleuchtung unhinterfragt als ästhetisches Mittel? Stadtmarketing und "Aufmerksamkeitsterror" um jeden Preis? In Bad Tölz greift sie diesen Ansatz auf: 15 der vorhandene 28 Kugellampen auf dem Parkplatz werden unterschiedlich mit lichtdichter Folie beklebt. Verschieden Mondphasen spielten eine Rolle, erklärt Hüttner, und die Reaktion der Insekten.

Kunstprojekt in Bad Tölz: Nana Petzet gestaltet Lichtfallen für Insekten.

Nana Petzet gestaltet Lichtfallen für Insekten.

(Foto: Manfred Neubauer)

Die Auswertung, die Teil des Kunstprojekts ist, erfolgt in der Wandelhalle. Über dem Eingang hängt eine Fotoarbeit von Sieverding, die Bezug nimmt zu der im Jahr 2016 in Tölz gezeigten digitalen Projektion "Die Sonne um Mitternacht schauen". Ansonsten bleibt die Halle leer. Hauptausstellungsort ist der Parkplatz, mit den Objekten, Installationen und den ehemaligen Alpamare-Werbeplakaten, die Sieverding mit ihren Großfotografien gestaltet hat. Wie immer bei der Beuys-Schülerin sind es Reflexionen zur eigenen Identität und Stellungnahmen zu politischen Fragen: Etwa ein Dokumentationsfoto des chinesischen Militärs aus dem Jahr 1978, das sich auf dem Parkplatz camouflagehaft zwischen den Büschen verbirgt. Der Bomber "Enola Gay", aus dem die erste Atombombe über Hiroshima abgeworfen wurde. Überblendungen, verfremdete, radiologische Aufnahmen, oder zu einem Bild der Sonne verdichtete Nasa-Daten.

Für Hüttner ergeben sich durch die Ausstellungssituation besondere Fragestellungen: Kann Kunst diesen frei zugänglichen Ort temporär verwandeln? Wie reagieren die Nutzer dieser Parkplatzbrache auf die Ausstellung? Wirken sie auf ihn ein, verändert sich der Ort? Dass die Kunstobjekte nicht bewacht und den Unbilden des Wetters ausgesetzt sind, wüssten die Künstler, sagt Hüttner. Das ist das Spannende an der Ausstellung: Jede Intervention an diesem Ort ist Teil des Experiments. Die zwei verhüllten, ausrangierten Autos im oberen Teil des Parkplatzes sind übrigens keine Kunstobjekte. Sie stünden schon seit langem hier, sagt Hüttner. "Jetzt sind sie Teil der Ausstellung."

Eröffnung am 30. Juli, 18 Uhr. Ausstellung vom 31. Juli bis 31. August, Wandelhalle geöffnet mittwochs bis sonntags von 16 bis 20 Uhr und nach Vereinbarung unter 0176-80 44 65 38. Infos über weitere Veranstaltungen unter www.gflk.de

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