Friedrich Christian Laukhard: "Meine Kampagne in Frankreich":Der Anfang allen Elends

Friedrich Christian Laukhard: "Meine Kampagne in Frankreich": Schon nach der Kanonade von Valmy vom 20. September 1792, weit entfernt von Paris, musste die Invasionsarmee umkehren.

Schon nach der Kanonade von Valmy vom 20. September 1792, weit entfernt von Paris, musste die Invasionsarmee umkehren.

(Foto: H.Tschanz-Hofmann/imago images)

Vom Schicksal einer Invasionsarmee: Die Aufzeichnungen des einfachen Soldaten Friedrich Christian Laukhard aus dem Ersten Koalitionskrieg.

Von Lothar Müller

Er war ein gelehrter Mann, doch die Not hat ihn unter das Fußvolk der preußischen Armee verschlagen. Nach dem Theologiestudium war es ihm nicht gelungen, eine Pfarrstelle zu erhalten, seine akademische Karriere war in Halle gescheitert. Seine Kollegen hatten Wind bekommen von einem noch ungedruckten Roman, in dem er ziemlich frech das Innenleben der Universitäten in Halle und Jena geschildert und manche allzu wiedererkennbar hatte auftreten lassen.

Als Freigeist und Polemiker war er ohnehin verschrien. Seine Dissertation über Giordano Bruno half ihm wenig. Wessen Lehrbefugnis im 18. Jahrhundert drastisch beschnitten wurde, der spürte das sogleich am Geldbeutel. Christian Friedrich Laukhard, geboren im Sommer 1757 als Sohn eines - ebenfalls unbotmäßigen - Pfarrers im kurpfälzischen Wendelsheim, schrieb sich Weihnachten 1783 beim Infanterieregiment von Thadden als Musketier ein.

Für knapp zwölf Jahre war er nun Soldat und Autor zugleich. Als 1792 die ersten beiden Bände von "F.C. Laukhards, Magister der Philosophie, Leben und Schicksale von ihm selbst beschrieben" erschienen, musste er in den Krieg ziehen. Er gehörte zu den gut 80 000 Mann, die Preußen, Österreich und französische Emigranten aufboten, um Paris zu erobern und den in der Französischen Revolution gestürzten König wieder in seine Rechte einsetzen. Selten ist eine Invasionsarmee gründlicher gescheitert als diese.

Friedrich Christian Laukhard: "Meine Kampagne in Frankreich": Friedrich Christian Laukhard: Laukhards Kampagne in Frankreich. Eingerichtet von Reinhard Kaiser, Wolfgang Hörner, Tobias Roth und Stefan Reiserer. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022. 400 Seiten, 26 Euro.

Friedrich Christian Laukhard: Laukhards Kampagne in Frankreich. Eingerichtet von Reinhard Kaiser, Wolfgang Hörner, Tobias Roth und Stefan Reiserer. Verlag Das kulturelle Gedächtnis, Berlin 2022. 400 Seiten, 26 Euro.

Nach einem kurzen Vormarsch über Longwy und Verdun musste sie schon nach der Kanonade von Valmy, weit entfernt von Paris, den Rückzug antreten. "Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen". Vor allem durch diesen Ausspruch Goethes, der als Begleiter des Weimarer Herzog Karl August an dem Feldzug teilnahm, ist dieser Wendepunkt im allgemeinen Bewusstsein lebendig geblieben.

Ob Goethe den Satz bereits im Juni 1792 vor Ort formuliert, ist ungewiss, enthalten ist er erst in der Jahrzehnte später geschriebenen "Campagne in Frankreich", die 1822 zum ersten Mal erschien, noch nicht unter diesem Titel, als Fortsetzung des autobiografischen Werks "Dichtung und Wahrheit". Es war zufällig das Jahr, in dem Laukhard, einer der ständig von der Zensur verfolgten Radikalaufklärer in Deutschland, verarmt in Bad Kreuznach starb.

Laukhard und Goethe sind sich bei dem Feldzug nicht begegnet, aber beide bauten ihn in ihre autobiografischen Projekte ein. Der dritte Teil von Laukhards "Leben und Schicksale", "welcher dessen Begebenheit, Erfahrungen und Bemerkungen während des Feldzugs gegen Frankreich von Anfang bis zur Blockade von Landau" erschien 1796 in Leipzig. Er ist im Internet leicht zu finden, der Verlag "Kulturelles Gedächtnis" hat ihn nun mit einem ausführlichen, informativen Nachwort von Wolfgang Hörner und vielen Stellenkommentaren unter dem Titel "Meine Campagne in Frankreich" als gedrucktes Buch neu aufgelegt.

Schon die Kapitelüberschriften lassen wenig Zweifel daran, dass hier der eigenen Armee die Leviten gelesen werden

Das ist natürlich eine Zutat der aktuellen Herausgeber, aber die Nachwelt kann Laukhard tatsächlich als Replik auf Goethe lesen, der Laukhards Bericht übrigens als Quelle genutzt hat. Hier schreibt einer aus dem unmittelbaren Geschehen heraus, legt sich mit der aktuellen fürstenfreundlichen Publizistik an, macht keinen Hehl daraus, dass er der Französischen Revolution, gegen die er zu Felde zieht, sehr viel mehr abgewinnen kann als dem scheiternden Projekt, mittels einer Invasionsarmee das Ancien Régime wiederherzustellen.

In derben Worten geißelt er die französischen Emigranten, schon seine Kapitelüberschriften lassen wenig Zweifel daran, dass hier der eigenen Armee die Leviten gelesen werden: "Einfall in Frankreich. Anfang alles Elendes" oder "Jämmerlicher Abzug aus Frankreich". Vor allem den Emigranten legt er die Illusionen zu Last, mit denen die Invasionsarmee aufgebrochen ist: dass sie auf dem Weg nach Paris überall auf freundlichen Empfang und wenig Widerstand treffen werde.

Das politische Räsonnement, das Laukhard in seinen Text einwebt, schließt den Gedanken ein, ein Volk habe das Recht, seinem König den Prozess zu machen, wie es in Frankreich geschieht. Es ist aber nicht der Kern seines Berichts. Der Kern ist die Schilderung des Alltags der Armee vom Aufzug bis zur Rückkehr nach Deutschland, wo Laukhard in seiner kurpfälzischen Heimat Station macht und die Belagerung von Mainz miterlebt und die gnadenlose Jagd auf die "Klubbisten" und "Patrioten", die vermeintlichen oder tatsächlichen Anhänger der Französischen Revolution.

In viel höherer Frequenz als in den Romanen der Zeit ist bei ihm vom Kot die Rede

Ein Grundmuster aller Invasionsarmeen zeichnet sich bei Laukhard in drastischer Konkretion ab. Das Heer, dem er angehört, verbraucht beim Vormarsch wie beim Rückzug einen Großteil seiner Energie für die Selbsterhaltung. Laukhard ist ein Kriegsberichterstatter, aber kein Schlachtenmaler. Auch die Kanonade von Valmy war ja keine offene Feldschlacht, die Einnahme von Verdun, die kleineren Scharmützel bleiben Episoden gegenüber dem chronischen Elend der Selbsterhaltung.

Das Wetter ist bei Laukhard dauerhafter und noch intensiver schlecht als bei Goethe, die Ruhr ergreift die Soldaten eher. Der Hunger, die stockende Versorgung, die toten Pferde und Soldaten am Wegesrand begegnen einem in dichter, anschaulicher Beschreibung. Wer eine Ahnung vom Elend der Feldlazarette dieser Armee gewinnen will, der lese, wenn er oder sie gute Nerven hat, Laukhard. In sehr viel höherer Frequenz als in den Romanen der Zeit ist bei ihm vom Kot die Rede, von Gestank und Verwesung. Der Berichterstatter verschweigt nicht, dass er selbst, wenn auch widerstrebend, an Plünderungen teilnimmt.

Fußsoldaten haben ein Augenmerk auf ihr Schuhwerk, so auch Laukhard. "Unsre Herren hatten so für sich auskalkuliert, dass der ganze Krieg wohl nur ein Vierteljahr dauern könnte", und so war für Nachschub beim Schuhwerk nicht gesorgt. "Es war schändlich anzusehen, wie die Preußen da ohne Schuhe durch den Kot zerrten und ihre Füße an den spitzigen Steinen blutrünstig aufrissen. ... Auch die Herren Emigrierten mussten barfuß mit herumpatschen."

Laukhard kann mit den Pfarrern auf Latein kommunizieren, mit den höheren Offizieren und Adligen im Heer gebildet parlieren, sein Bericht über die gescheiterte antirevolutionäre Invasionsarmee ist aber der eines Musketiers, eines gemeinen Mannes. In ihm hat das Fußvolk ein Sprachrohr gefunden.

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