Dirk von Petersdoff: "Gewittergäste":Die Motive unserer Zeit

Dirk von Petersdoff: "Gewittergäste": Das Wetter als Metapher: heraufziehendes Gewitter, Dirk von Petersdorffs Bild für die Stimmung der Gegenwart.

Das Wetter als Metapher: heraufziehendes Gewitter, Dirk von Petersdorffs Bild für die Stimmung der Gegenwart.

(Foto: Jeff McIntosh/AP)

Dirk von Petersdorffs virtuose west-/ostdeutsche Novelle "Gewittergäste".

Von Hilmar Klute

Im vergangenen Jahr hat Dirk von Petersdorff eine neue Sammlung seiner Gedichte vorgelegt, in denen vieles vor Wetterkulissen, Sommer- und Winterhintergründen geschieht, das gilt auch und dort besonders anrührend für Dinge, die heranwachsende Kinder tun. Die Familie steht als festes Gremium in Petersdorffs Poesie, und so ist es auch in seinem neuen Buch.

Dirk von Petersdorff ist ein meisterhafter Stimmungsmacher, ein Lyriker, der weiß, wie man die Anbahnung einer Katastrophe mit aufziehenden Wolken und im Wind schwankenden Bäumen vorbereitet. "Gewittergäste" heißt sein neues Erzählwerk, eine Novelle, denn Petersdorff, der Neugermanist, liebt den Rückgriff auf die Formen der Klassik, den Reim in der Lyrik, das Dinggedicht und jetzt eben die auf einen Höhepunkt zusteuernde überschaubare Geschichte - man muss die formalen Traditionen nicht groß referieren.

"Gewittergäste" ist eine Erzählung aus unseren brüchigen, von allseitigen Bedrohungen und Zumutungen umstellten Tagen. Friedrich und seine Frau Jenny leben in einer Stadt im Osten Deutschlands, nach der Wende sind sie hierhergezogen, bald vertraut mit den Idiosynkrasien der Einheimischen, deren Skepsis gegenüber dem Westen und seinen Protagonisten. Zugleich sind Jenny und Friedrich selbstkritisch genug, um keine Feindlinien in den Sand zu zeichnen, denn schließlich sind sie hierhergezogen "um eine neue Region mit anderen Hintergründen kennenzulernen", so drückt Jenny es aus. Aber der Alltag ist oft beschwerlich, im Kindergarten ist Jenny die bedauernswerte "West-Mutti", feindliche Blicke treffen sie überall.

Dirk von Petersdoff: "Gewittergäste": Als Literaturwissenschaftler hat Dirk von Petersdorff eine Professur für Neuere Deutsche Literatur in Jena inne. Als Autor schreibt er Lyrik und Prosa.

Als Literaturwissenschaftler hat Dirk von Petersdorff eine Professur für Neuere Deutsche Literatur in Jena inne. Als Autor schreibt er Lyrik und Prosa.

(Foto: Friedrich-Schiller-Universität Jena)

Es ist Sommer, ein kritischer Sommer in mehrfacher Hinsicht. Gleich auf der ersten Seite steht der klimatische Befund: braune Rasenstücke, wochenlange Trockenheit, der Sommer von heute. Jenny bereitet eine Abendgesellschaft vor, sie hat einen Kollegen aus Brandenburg eingeladen, Rolf, der sich schon am Telefon mit bedenklicher Querdenker-Terminologie vorgestellt hatte. Dazu soll noch eine frühere Freundin von Friedrich kommen, Thea, und zu alledem passiert am Himmel eine Menge Unheil. Gewitterwolken ziehen auf, eine Drohne, die Paul, einer der beiden Söhne, startet, stürzt in einen Baum. Paul ist zudem völlig verloren an die lokale Legende von einem ehemaligen Soldaten der Roten Armee, der hier einen bei einem NVA-Manöver verunglückten Kameraden betrauern soll und durch die Gegend geistere. Konfliktfelder, wo man hinblickt, Fremdheit und Nervosität, Unbehaustheit und Beschwichtigungsversuche - einzig der ältere Sohn, Georg, fremdelt nicht mit dem Osten. Er hat hier seine Freunde, darunter den Syrer Aras, der sich mit der Geschichte deutscher Kaiser bestens auskennt und als eine Art Integrationsoriginal vorgestellt wird.

Dirk von Petersdoff: "Gewittergäste": Dirk von Petersdorff: Gewittergäste. Novelle. C.H. Beck, München 2022. 124 Seiten, 20 Euro.

Dirk von Petersdorff: Gewittergäste. Novelle. C.H. Beck, München 2022. 124 Seiten, 20 Euro.

Was sich am Himmel zusammenbraut und an Windstärke durch die Tür zieht, findet gleich nach der Ankunft Rolfs und seiner Frau Beate ein atmosphärisches Pendant bei Tisch. Ein hübscher Kniff ist die verschwörungstheoretische Überlegung, dass Deutschland im Fall einer Pandemie völlig schutzlos dastünde: "Wir haben praktisch keine Schutzmasken", sagt der wütende Rolf. Es ist Sommer 2019. "Verbots-Staat", "Demokratur", die rhetorische Verpanzerung weicht nicht, selbst nach Ankunft der mit der einstigen Liebschaft zu Friedrich immer offener kokettierenden Tine.

Es ist verblüffend, wie gekonnt Petersdorff sein Mentalitäten-Wetter-Drama inszeniert, bei der beinahe alle Beteiligten ihre Standort-Koordinaten verlieren. Nur Jenny besteht auf ihrer Ordnung: "Dies ist meine Insel, hier ist alles gut", sagte sie, aber dann landet schon ein Hubschrauber im Garten, die Metaphern gewinnen plötzlich an Gestalt, und irgendwann sagt Jenny den Satz, den der Leser von Anfang an auf der Zunge hat: "Alle Ahnungen werden wahr." "Gewittergäste" ist eine virtuos durchkomponierte Erzählung, die den sprachlichen Sound der Jugendlichen genauso einfängt wie die Zornessprache der vermeintlich Zukurzgekommenen, die freilich auch der manieristischen Übersteuerung nicht immer entgeht: "Der Rauchgeruch von der nahe gelegenen Holzkohlenfabrik lag wie milder Schwachsinn über der Szene."

Man sollte nicht zu viel vom Geschehen verraten, denn Petersdorff hat sein west-/ostdeutsches Milieustück nicht nur mit genau abgelauschten Zitaten, sondern auch mit allerlei starken Motiven und Andeutungen ausgestattet, die sämtlich im Plot eingelöst werden. Und zu alledem lässt Petersdorff sein Licht- und Dunkeltheater laufen, Wind und Dämmerung, Regen und Gewitter - von allem ist ein bisschen zu viel da, aber das liegt nicht nur am Autor, sondern gewiss auch am Zustand der gegenwärtigen Welt.

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