Glosse:Das Streiflicht

Glosse: Das Streiflicht

Das Streiflicht

(Foto: SZ)

Dichtende Politiker zeigen oft, dass sie viel Ehrgeiz, aber wenig Talent haben. Wie anders ist es aber bei Selenskij!

(SZ) Von Erich Fried, dem lyrischen Wanderprediger der Siebziger- und Achtzigerjahre, gibt es ein Gedicht, das geht so: "Nicht nichts ohne dich / aber nicht dasselbe." Fried-Bewunderer wussten immer spätestens nach der zweiten Zeile, wohin der Hase läuft, nämlich schnurstracks und wenige Haken schlagend auf das Feld der gnadenlosen Sprachfängerei. Dort schnappt sich ein Wort ein anderes, das so ähnlich aussieht wie es selbst und geht damit auf semantische Überraschungsfahrt: "Nicht nichts ohne dich/ aber vielleicht weniger." Die lyrische Message ist einigermaßen klar: Wenn der oder die andere nicht mehr da ist - sei sie abgehauen, sei er verstorben - dann ist der Hinterbliebene zwar um einige emotionale Annehmlichkeiten ärmer, aber es wird ihn auch nicht komplett zerlegen: "Nicht nichts ohne dich/ aber weniger und weniger." Immerhin: nicht nichts, an dieser lyrischen Kindersicherung kommt kein Nihilist vorbei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: