Nachruf auf Wolfgang Kohlhaase:Alles ist so gewesen

Nachruf auf Wolfgang Kohlhaase: Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase mit dem Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk.

Der Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase mit dem Deutschen Filmpreis für sein Lebenswerk.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

In der DDR machte er aufmüpfiges junges Kino wie "Berlin - Ecke Schönhauser", nach der Wende wurde er ein skeptischer und humorvoller Chronist neuer Irrwege. Zum Tod des bedeutenden Drehbuchautors Wolfgang Kohlhaase.

Von Fritz Göttler

Eine junge Frau schaut, wo sie bleiben könnte in der Welt, und was sie tun könnte, um diese besser zu machen: Bibiana Beglau als RAF-Terroristin in "Die Stille nach dem Schuss". Es ist das Jahr 1970, sie findet nach einer Irrfahrt Unterschlupf in der DDR, auch eine neue Identität. Schwerer wird sie sich mit ihren Idealen tun ... Ein Film von zwei alten Männern, dem Regisseur Volker Schlöndorff und dem Schreiber Wolfgang Kohlhaase, aus dem Jahr 2000. In dem das Erzählen im Kino frischen Atem schöpft, man spürt eine Aufrichtigkeit, eine naive Sehnsucht nach dem Glück der Gemeinschaft und Solidarität, die schon manche Defa-Filme der Fünfziger und Sechziger so besonders machen - an vielen von ihnen hat Wolfgang Kohlhaase mitgearbeitet. Jede Aussicht auf Idylle und neue Welt bricht in "Die Stille nach dem Schuss" dann in Stücke, als die Wende kommt, die Wiedervereinigung. Der Film endet lakonisch mit: "Alles ist so gewesen. Nichts war genau so."

Wolfgang Kohlhaase wurde geboren am 13. März 1931 in Berlin, der Vater war Schlosser, die Mutter Hausfrau. In der Jugend versuchte er sich an einer Jugendzeitschrift, noch als Teenager kam er zur Defa, bewährte sich in der Drehbucharbeit. Die Filme, die er mit dem jungen Regisseur Gerhard Klein schuf, waren pure Ostberliner Nouvelle Vague, mit Untertönen aus dem Hollywood-Halbstarken-Kino - den drögen Defa-Funktionären und ihrem sterilen sozialistischem Lehrbuch-Realismus mit seinen vorbildhaften Pappfiguren also höchst suspekt.

1957 machten die beiden "Berlin - Ecke Schönhauser ..." deshalb ohne Genehmigung der HV (Hauptverwaltung), die Jungen in diesem Film waren aufmüpfig und bereit, für ihre Widersetzlichkeit schmerzlich zu zahlen. Klein/Kohlhaases letzter gemeinsamer Film "Berlin um die Ecke" wurde schon vor der Fertigstellung verboten - der Ostberliner Frühling war vorbei, das 11. Plenum des ZK der SED zog eine Reihe frisch gedrehter Filme aus dem Verkehr und steckte sie ins Kellerloch. Erst 1987 wurden diese Kellerfilme wieder herausgeholt, 1990 waren sie auf der Berlinale zu sehen.

Die verlorene Jugend sollte im Kino nachgeholt werden

Auch die schlimmste Abweichung im engen Defa-Sozialismus leisteten sich Klein und Kohlhaase, eine Art westlichen Formalismus: "Der Fall Gleiwitz" erzählte vom Überfall auf den deutschen Radiosender am 31. August 1939, angeblich von polnischen Freischärlern, in Wirklichkeit ein Fake, von der SS in allen Details inszeniert. Gefilmt im Kielwasser von Antonioni und Resnais: Ästhetisierung des Faschismus? "Uns gefiel das", gesteht Kohlhaase mit brechtischer Durchtriebenheit.

Die verlorene Jugend im Krieg und im Nachkriegssozialismus sollte im Kino irgendwie nachgeholt werden, das macht diese Filme bis heute so unerhört jugendlich. "Der Zusammenfall von Weltgeschichte und Pubertät war ein großes Glück." Was gibt es Schöneres im Kino als echtes Pathos der Jugend! Wolfgang Kohlhaase hat gern mit jungen Regisseuren zusammengearbeitet, in den Geschichten, die dabei entstanden, ließ er die Erfahrungen aus verschiedenen Leben verschmelzen.

"Ich war neunzehn", den er für Konrad Wolf schrieb, erzählt exemplarisch die Erlebnisse eines Jungen in der Sowjetarmee - es sind die von Konrad Wolf selbst. In den Siebzigern arbeiteten Kohlhaase und Wolf mehrfach zusammen, erforschten, wie man Inneres nach außen bringt, Emotionen ins Handeln führt. 1980 machten sie "Solo Sunny", Wolfs letzten Spielfilm vor seinem Tod, Kohlhaase war Co-Regisseur, der Film lief auf der Berlinale, ein Publikumserfolg. Renate Krößner ist Sunny, ein flapper girl des Sozialismus, ein Mädchen, das die Freiheit im Singen sucht, sich auf den Bühnen neu erfindet und den Tingeltangel des Hintergrunds märchenhaft verzaubert. "Let me sing that song of the golden girls and the men so strong ... merry old song." Das Kino liebt die losers einfach mehr als die Gewinner: "Hinterlassen nicht auch Leute, die scheitern, der Welt ihre Fragen?"

Bis ins hohe Alter hat Wolfgang Kohlhaase seine unglaubliche Beweglichkeit bewahrt, zart und robust zugleich, er hat mit Unbestechlichkeit die Irrwege der DDR und danach des wiedervereinigten Deutschland registriert, all die sanften Widersprüche und Verletzungen, exemplarisch in drei Filmen mit Andreas Dresen ("Sommer vorm Balkon"). Er hat zündende Artikel und Reden geschrieben und hat brilliert als Erzähler - die Artikel sind gesammelt im Band "Um die Ecke in die Welt", über Filme und Freunde, vor Kurzem ist der Erzählband "Erfindung einer Sprache" erschienen.

Die Vergangenheit in die Zukunft überführen, das ist das Kinoprojekt von Wolfgang Kohlhaase, das macht die Gegenwärtigkeit seiner Filme aus. Alles ist so gewesen. Nichts war genau so ... Am Mittwoch ist Wolfgang Kohlhaase im Alter von 91 Jahren gestorben.

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