Buchpräsentation:Der Traum vom Holzhaus im Grünen

Buchpräsentation: Das denkmalgeschützte Haus in der Josef-Heppner-Straße 11 ist eines der wenigen Zeugnisse, das in Pullach heute noch von der Holzhaus-Gartenstadt-Idee kündet.

Das denkmalgeschützte Haus in der Josef-Heppner-Straße 11 ist eines der wenigen Zeugnisse, das in Pullach heute noch von der Holzhaus-Gartenstadt-Idee kündet.

(Foto: Claus Schunk)

Angelika Bahl-Benker erzählt im Buch "Künstleridee und Geschäftsmodell: Die Gartenstadt Pullach" von frühen Visionären des seriellen und nachhaltigen Bauens.

Von Udo Watter, Pullach

Ein wesentliches Etappenziel der bürgerlichen Lebensreise ist der Erwerb eines Eigenheims: die eigenen vier Wände. Damit verbindet sich die Vorstellung von Freiheit und Behaglichkeit, gleichsam Basis für Unabhängigkeit und Lebensglück, gerade auch für die weniger begüterten Schichten. So sah das auch der Publizist, Philanthrop, Glücksbuchverfasser und methodistische Laienprediger Georg Kropp, der 1921 im schwäbischen Wüstenrot einen Wohnbauverein gründete, aus dem 1924 die berühmte Bausparkasse hervorging, damals noch Gemeinschaft der Freunde (GdF) Wüstenrot genannt.

Die Idee, dass diese vier Wände aus Holz und nicht aus Stein sein sollten, macht das Konzept der Gartenstadt Pullach, wie es in den 1920ern entworfen wurde (und bei deren Umsetzung und Entwicklung auch Wüstenrot eine Rolle spielen sollte) so besonders, ja einzigartig. "Ein Unikat" urteilt Angelika Bahl-Benker. Die Vorsitzende des Geschichtsforums Pullach hat ein Buch zum Thema geschrieben, das sie an diesem Montag, 24. Oktober, im Bürgerhaus vorstellen wird: "Künstleridee und Geschäftsmodell - die Gartenstadt Pullach" lautet der Titel, es ist der mittlerweile schon zehnte Band der von der Gemeinde herausgegebenen "Pullacher Schriftenreihe".

Was war Hintergrund und Ausgangspunkt für dieses aufwendig recherchierte, ambitioniert gestaltete und nicht nur lokalhistorisch, sondern im Kontext der Zeit auch allgemeingeschichtlich interessante Buch? Mitte der Zwanziger entwickelten die Holzbauunternehmer Moritz Kowalski und Fritz Glasser ihr Geschäftsmodell: den Bau und Verkauf von knapp 200 erschwinglichen Holzhäusern mit Gärten auf dem "Baierbrunner Feld": Südwestlich vom alten Ortskern sollte die Siedlung entstehen, zwischen Jaiserstraße und Birkenallee, Isartalbahn (Gistlstraße) und Wolfratshauser Straße. Für das städtebauliche Konzept inklusive der Entwürfe für die Häuser kooperierten sie mit dem Münchner Künstler und Architekten Richard Riemerschmid, der Erfahrungen durch seine Planungen für die Gartenstädte Hellerau (bei Dresden) und Nürnberg hatte (und auch bekannt ist durch seine federführende Rolle beim Jugendstil-Innenausbau der Münchner Kammerspiele).

"Damals herrschte eine irrsinnige Wohnungsnot", sagt Bahl-Benker. Und Baustoff war knapp. Es war die Zeit nach Weltkrieg und Inflation - und vor der Weltwirtschaftskrise 1929. Riemerschmid entwarf den Bebauungsplan für Pullach, also die erste Holzhaus-Gartenstadt, und konzipierte dafür innovative "Fertighäuser". Den Jugendstil hatte er schon lange hinter sich gelassen, seine Arbeit war "entscheidend von sachlich-funktionalen und sozialen Gesichtspunkten geprägt", wie der Pullacher Architekt Justus Thyroff, der am Montag ebenfalls einen Vortrag halten wird, in seinem Vorwort schreibt. Riemerschmids "Typen"-Häuser vereinten rationelles, serielles Bauen, bezahlbaren Wohnraum und gute Wohnqualität. "Ein hochmodernes Konzept", sagt Bahl-Benker - auch mit Blick auf Nachhaltigkeit und Holz als Baustoff, was ja in der Gegenwart wieder ein sehr aktuelles Thema ist. Das Konzept damals ging freilich nur bedingt auf. Die in der Fabrik vorfabrizierten Häuser waren zwar in der Tat rasch aufgebaut und 1927 zogen die ersten Familien ein, die sich offenbar dort auch wohlfühlten. Es waren freilich viel zu wenige.

Von 180 geplanten Häusern wurden 16 gebaut

Riemerschmids Bebauungsplan sah ursprünglich 370 Holzhäuser vor, er ging bald auf 180 runter, realisiert wurden schließlich aber nur 16 Häuser. Und von denen sind heute nur noch ein paar erhalten. Woran lag's? Die wegen der Kosten für Geländeerschließung, Holzhausfabrikation und Kredite schnell in Schwierigkeit geratenen Kowalski und Glasser fanden zwar zunächst Unterstützung bei der Bausparkasse in Wüstenrot. Diese handelte durchaus im Sinne der sozialbewussten Ideen ihres Gründers Georg Kropp, gab Kredite freilich nur unter der Bedingung, dass auch Steinhäuser im Massivbau möglich sein sollten. Bald übernahm Wüstenrot - nach dem finanziellen Scheitern der Unternehmer - die Firma "Gartenstadt Pullach GmbH" und den Verkauf der Grundstücke. Kowalski, der im Grünwalder Ortsteil Geiselgasteig lebte, und Glasser gingen mit ihrer Holzhausfabrik in Konkurs. Ihr innovativer Ansatz hatte in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nicht funktioniert. In den 30ern kamen dann im Gartenstadt-Areal viele Gebäude in Stein hinzu.

Buchpräsentation: Angelika Bahl-Benker, Vorsitzende des Geschichtsforums Pullach, mit ihrem neuen Buch.

Angelika Bahl-Benker, Vorsitzende des Geschichtsforums Pullach, mit ihrem neuen Buch.

(Foto: Claus Schunk)

Nun, für Bahl-Benker, die Sozialwissenschaftlerin ist und seit 2014 Vorsitzende des 2012 gegründeten Pullacher Geschichtsforums, waren es aber gerade diese wenigen, am Ort mitunter als "Riemerschmid-Häuser" titulierten Holzhäuser, die ihr besonderes Interesse weckten. Eine in der Zeitung entdeckte Meldung aus dem November 2014, dass ein Holzhaus versteigert würde, das früher in der Gartenstadt Pullach gestanden hatte, dort 1983 zerlegt und zwischendurch anderswo wieder aufgebaut worden war, befeuerte den Drang zur Nachforschung weiter. "Mich interessiert es schon lange", sagt die gebürtige Münchnerin Bahl-Benker, die in Pullach aufwuchs, und, nachdem sie eine Zeitlang außerhalb Bayerns lebte, seit den Neunzigern wieder in der Isartalgemeinde wohnt. Die Schwierigkeit war, dass über dieses spannende Nebenkapitel der Entwicklung vom Bauerndorf zum Münchner Vorort fast nichts bekannt war. "Ich bin dann in die Tiefen des Archivs gegangen", erzählt Bahl-Benker. Viele, viele Stunden hat sie im Pullacher Gemeindearchiv, im Staatsarchiv München und auch im Wüstenrot -Archiv verbracht. Die Recherche zog sich über mehrere Jahre hin.

Das Ergebnis ist jedenfalls sehr lesenswert und auch optisch anspruchsvoll. Es gibt informative Kapitel zur allgemeinen Wohnungsfrage in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, zu Gartenstadt-Konzepten und Lebensreform-Idealen (der als "Kohlrabi-Apostel" bekannte Künstler Karl Wilhelm Diefenbach lebte etwa einige Jahre in einem Steinbruch bei Höllriegelskreuth), zur Ortsentwicklung seit 1900. Neben dem zentralen, titelgebenden Kapitel "Künstleridee und Geschäftsmodell" kommen Anregungen zu bauästhetische Fragen, sowie weitere Texte zur Entwicklung in den Dreißigern und spannende persönliche Geschichten von Bewohnern der Gartenstadt (von der jüdischen Familie Dreifuß über den Karikaturisten und Maler Sepp Mauder bis zum strammen NS-Musikwissenschaftler Blessinger) und die Weiterentwicklung der Siedlung nach dem Krieg.

Buchpräsentation: Das Haus "Brigitte", Baujahr 1926, in der Parkstraße 29 (später Jaiserstraße 33). Das Bild ist von 1973, das Haus wurde zehn Jahre später zerlegt und steht heute in Kochel am See.

Das Haus "Brigitte", Baujahr 1926, in der Parkstraße 29 (später Jaiserstraße 33). Das Bild ist von 1973, das Haus wurde zehn Jahre später zerlegt und steht heute in Kochel am See.

(Foto: Gemeindearchiv Pullach)

Historische Fotos, Werbeprospekte aus den Zwanzigern ("Vom praktischen Bauen und sonnigen Wohnen"), Zeichnungen, historische Bebauungspläne, Häuserbilder aus diversen Epochen oder seltene Quellendokumente illustrieren den Band. Für Wissenschaftler zudem interessant: der üppige und schön gestaltete Anhang mit weiteren (Bild-)Quellen.

Was bleibt? Bahl-Benker, die sich mit Akkuratesse und der großen Leidenschaft der Ortshistorikerin dem Thema gewidmet hat, befürchtet den weiteren Verlust wichtiger, denkmalschutzwürdiger Häuser (in den 70ern sind etliche der ohnehin nicht so vielen Holzhäuser abgerissen und mitunter anderswo wieder aufgebaut worden). Dass das Ortsbild des modernen Pullach nicht überall dem Auge schmeichelt, mancherorts inzwischen etwas protzige Villen stehen und immer wieder wertvolle Bausubstanz verschwindet, ist eine ihrer Sorgen. "Was ist notwendig, um noch Vorhandenes zu bewahren und mit Augenmaß zu entwickeln?" fragt sie im finalen Kapitel "Ausblick". Sie schwärmt von der schönen Lage Pullachs, ansprechenden Vierteln und dessen 35 historischen Denkmälern, vielen Gärten. Gleichwohl warnt sie: "Ist dieses kulturelle Erbe einmal zerstört, bleibt es für immer verschwunden, und der Ort verliert seinen Charakter und seine Ausstrahlung."

Die Präsentation des Buches "Künstleridee und Geschäftsmodell: Die Gartenstadt Pullach" (Pullacher Schriftenreihe, Band 10) ist am Montag, 24.Oktober, Beginn 19.30 Uhr, im Bürgerhaus Pullach.

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