Gastbeitrag:Wider die Verharmlosung

Gastbeitrag: Franz Stelzhamers (hier um 1865) Wirkung auf breite Bevölkerungskreise beruht auf schlichten Dialektgedichten.

Franz Stelzhamers (hier um 1865) Wirkung auf breite Bevölkerungskreise beruht auf schlichten Dialektgedichten.

(Foto: The History Collection / mauritius images / Alamy Stock Photos)

Franz Stelzhamer, Dichter der populären Landeshymne Oberösterreichs, schrieb auch viele Texte mit antisemitischen Stereotypen. Eine kritische Einordnung zum 220. Geburtstag.

Gastbeitrag von Ludwig Laher

Bei Franz Stelzhamer reicht ein halbrunder Geburtstag, um "die Verkörperung des oberösterreichischen Wesens" gebührend zu feiern. Lesungen aus seinem Werk bis hin zur sogenannten Mundart-Klangwolke werden heuer zum 220sten vielerorts angeboten, der umtriebige Stelzhamer-Bund ist flächendeckend verankert. Des Dichters wird an monumentalen Denkmälern in Linz und Ried im Innkreis gedacht, kleinere sind übers ganze Land verstreut.

Rührselige Geschichten gräbt man zum Jubiläum am 29. November aus, etwa jene vom Sohn, dem, in Passau gestrandet, Schuldhaft drohte. Die alte Mutter nahm einen mehrtägigen Fußmarsch auf sich, um ihn auszulösen. Da war er Mitte zwanzig. Verschuldet war er noch oft, was ihn nicht hinderte, auf großem Fuß zu leben. Daheim litten Frau und Kind arge Not, starben bald, während er es sich in deutschen Landen, oft auf Pump, gutgehen ließ. Seine Gläubiger schauten regelmäßig durch die Finger.

Warum just so ein Mensch, dem auch Jähzorn, Großmäuligkeit, Rauflust sowie berechnende Schmeichelei nachgesagt werden müssen, dessen Xenophobie und Antisemitismus in Notizen, Briefen und Texten nachzulesen sind, laut Hans Commendas oft zitierter Formulierung das oberösterreichische Wesen verkörpern soll und sich nicht nur als Autor, sondern auch als schillernde Persönlichkeit ungebrochener Beliebtheit erfreut, mag verstehen, wer will.

Commenda, promovierter Germanist und Biograf Stelzhamers, fungierte als Speerspitze einer Gruppe, die Anfang der 50er-Jahre dafür warb, einen der vertonten Mundarttexte Stelzhamers zur Landeshymne zu befördern. Der Erfolg gab Commenda recht, heute ist "Hoamatland" die wohl beliebteste Hymne Österreichs, mit Inbrunst gesungen. Das lyrische Ich beteuert darin gleich zu Beginn, sein Land so gern zu haben wie ein Hünderl seinen Herrn.

Stelzhamers Wirkung auf breite Bevölkerungskreise beruht auf schlichten Dialektgedichten. Sie vergleichen den blühenden Kirschbaum mit dem in ewiger Blüte stehenden Ich, verspotten böhmakelnd die aus wirtschaftlichen Gründen ins deutschsprachige Österreich drängenden Tschechen, feiern den Vielklang des Vogelgezwitschers und den kreuzguten Kaiser, der auch schön sein muss, denn schön sein und gut sein ist, wie Stelzhamer betont, dasselbe.

Alles schön und gut, aber er konnte es noch deftiger. 1852 erschien in München "Das bunte Buch", eine bunte Mischung, die auch Essays enthält. Darin wettert Stelzhamer etwa gegen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" und den "Antichrist". "Jude" nennt sich der schlimmste Text: "Kein Volk der Erde hat nach seinem politischen Ableben mit einer solchen Zähigkeit, ja völligen Unumbringbarkeit fortgedauert, wie der Jude. (...) Besteht in zahlloser Menge und mit unberechenbarem Einfluß auf die Geschicke der Völker. (...) In alle Welt zerstreut, schlingt er sich, bald dünner, bald breiter, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivirten (sic!) Staatskörpers, und wie oft man ihn auch abzutreiben versucht hat, man gewann (...) bis jetzt nur größere oder kürzere Stücke, nie aber den Kopf selbst."

Die Politik tut sich schwer, eine populäre Hymne abzuschaffen

Die indirekte Aufforderung zum Genozid ist in ihrer Radikalität laut dem Historiker Michael John, von 2011 bis 2019 Leiter des Instituts für Kulturwirtschaft und Kulturforschung der Kepler Universität Linz, um 1850 ein atypisches originäres Zeitzeugnis: "Massentauglich sollten diese Formulierungen erst Jahrzehnte später werden." Hans Commenda hingegen urteilt kurz nach dem Holocaust so: "Im Abschnitt ,Sibyllinisches' seines 1852 erschienenen Werkes ,Das bunte Buch' vereinte Stelzhamer eine Reihe von politischen Rück-, Um- und Ausblicken, die geradezu verblüffen durch die Mischung zeitgebundener Vorurteile und seherischer Zukunftsblicke. Meist erst nach dem Jahre 1848 verfasst, greifen sie doch auf dessen Ereignisse zurück und erweisen ihren Verfasser auch auf dem Gebiete der Politik als tiefen, selbständigen Denker."

Dass sich die Politik schwertut, eine populäre Hymne abzuschaffen, ist verständlich. Unverständlich dagegen, dass sich Land wie Gemeinden bis heute weigern, den vielen Stelzhamer-Denkmälern, -Schulen und -Straßen Ergänzungstafeln beizugesellen, wie Wien es längst getan hat. Dort ist zu lesen: "Viele seiner Texte sind geprägt von antisemitischen Stereotypen."

Und Bayern? Auch dort ist Stelzhamer präsent, oft wurde er sogar für Bayern reklamiert. Von Vilshofen über Fürstenzell bis Passau gibt es Stelzhamer-Straßen, unter dem Profil seines Kopfes an seiner Münchner Wohnstätte in der Nähe des Gärtnerplatzes wird er als "bayer.-österr. Dichter" gefeiert.

2002 mischt sich auch im Freistaat Kritisches ins Anniversarienlob. Die Bayerische Staatszeitung etwa spricht vom Unbehagen, das moderne Leser gegenüber diesem Dichter der Vormoderne empfinden. Und sie zitiert Carl Zuckmayer. In einem Aber-Spruch setzt sich der ins Exil Getriebene mit Stelzhamers Hymnen-Zeilen auseinander, wonach die Heimat der zweite Mutterleib sei. "Der Mutterleib aber, mein lieber Mann", resümiert Zuckmayer bitter, "ist auch kein Ort, wo man bleiben kann."

Der Schriftsteller Heimrad Bäcker, als halbes Kind selbst NS-begeistert und ein Leben lang beschämt darüber, schuf mit "stelzhamer" diese "Hommage": "a fuah bleamön / a fuah häu / a fuah doode / a fuah schdräu". Ja, die Fuhr Streu über der Fuhr Toter liegt wie Blei auf Oberösterreichs Umgang mit des Dichters Hymne.

Stelzhamer widmete das "Bunte Buch" dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Karl Heinrich Freiherr von der Pfordten, dessen Neffe die extrem antisemitische Putschverfassung von 1923 mit konzipierte und von den Nazis als Blutzeuge des Marsches auf die Feldherrnhalle in hohen Ehren gehalten wurde.

Hitler fiel nicht vom Himmel. Immer noch zu versuchen, seine Vordenker zu verharmlosen und damit den Blick darauf zu verstellen, wie es zu den Hitlers kommen kann, ist gerade heute eine besonders schlechte Idee. Was Franz Stelzhamer anlangt, gäbe es da einiges zu tun.

Der Autor Ludwig Laher lebt im Innviertel und in Wien. Soeben erschien "Heiter. Bedeckt" (Edition Tandem), eine Sammlung von Essays.

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