Nachruf:Der Pfadfinder des globalen Datenschutzes

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Spiros Simitis, deutsch-griechischer Jurist. (Foto: Regina Schmeken/SZ Photo)

Spiros Simitis hat 1970 in Hessen das erste Datenschutzgesetz geschaffen - weltweit das erste seiner Art. Später sorgte der Jurist für dessen Einhaltung. Nun ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.

Von Heribert Prantl

Die Maßeinheit für die elektrische Stromstärke heißt Ampere. Die elektrische Spannung wird in Volt und die physikalische Leistung in Watt gemessen; sie ist benannt nach dem schottischen Physiker James Watt. Wenn man nach dem Namen einer Maßeinheit für den Datenschutz sucht, müsste die "Simitis" heißen. Die weltweite Geschichte des Datenschutzes beginnt mit dem deutsch-griechischen Professor Spiros Simitis, sie beginnt mit einem Gesetz, das er entwickelt und geschrieben hat: Das hessische Datenschutzgesetz von 1970 war global das erste seiner Art. Es war ein Leuchtturm-Gesetz. Simitis, damals ein junger deutsch-griechischer Rechtsprofessor in Frankfurt, hat diesen Leuchtturm gebaut, betrieben und gewartet; er war hessischer Datenschutzbeauftragter von 1975 bis 1991.

Er hat es zwar nicht geschafft, dass jeder den Datenschutz achtet; er hat es aber geschafft, dass jeder und jede ihn kennt. Und er gehört zu denen, die dafür gesorgt haben, dass das Bundesverfassungsgericht viel Gespür dafür hat. Wenn das höchste Gericht vor Kurzem dem Data-Mining durch die Polizei Grenzen gesetzt hat, dann ist das auch sein Verdienst.

Wunderstudent und Wunderprofessor

Die Pfadfinderei des Rechtswissenschaftlers Spiros Simitis für den Datenschutz begann zu einer Zeit, als die Computer noch riesige Kästen waren und mit Lochstreifen programmiert und befehligt wurden. Simitis hat dann die digitale Entwicklung von den Großrechnern bis zum Cloud-Computing begleitet. Ihm war schnell klar, dass Datenschutz nicht nur die Privatsphäre schützt, sondern zugleich die Demokratie. Der bewusste Verzicht auf zugängliche Informationen sei, so sagte er, eine Grundvoraussetzung demokratischer Gesellschaften.

Der in Athen geborene Sohn eines Anwalts kam mit 17 Jahren zusammen mit seinem Bruder Konstantin, dem späteren griechischen Ministerpräsidenten, zum Jurastudium nach Marburg, promovierte mit 22 Jahren, habilitierte sich mit 29. Aus dem Wunderstudenten wurde ein Wunderprofessor erst in Gießen, dann in Frankfurt - mit Lehrstühlen für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, für Arbeitsrecht und Rechtsinformatik und Gastprofessuren in Paris und Yale.

Von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verehrt

Er war ein brillanter Gelehrter, vielsprachig und weltgewandt, geistreich und eloquent. Mit seinem wunderbaren Singsang zog er die Menschen in seinen Bann; er widmete ihnen seine freundliche Aufmerksamkeit, war höflich und besaß die Begabung, Kritik so blumig zu verpacken, dass sie nicht wehtat; manche erkannten sie gar nicht. Er konnte und wollte seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht verletzen; sie waren ja sein Fanclub, empfanden es als Ehre, für ihn und mit ihm arbeiten zu dürfen.

Als politischer, aber nie parteipolitischer Professor war er aber ansonsten in seiner Meinung und seiner Argumentation sehr dezidiert, konnte die Dinge in ihren großen Zusammenhängen erklären und lange und klare Linien ziehen. Er hielt sich nicht damit auf, Probleme aufzuzeigen, er versuchte, sie sinnvollen Lösungen zuzuführen; er garnierte das alles mit kleinen Geschichten und Anekdoten. Er war eine internationale Koryphäe in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien und drei sehr verschiedenen Rechtsgebieten - im Datenschutzrecht, im Familienrecht und im Arbeitsrecht.

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Im Arbeitsrecht hat er die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Mitbestimmung im Unternehmen sehr beeinflusst, das Simitis-Gutachten ging in die wegweisende Entscheidung des Jahres 1979 ein: Das höchste Gericht wies die Beschwerde der Arbeitgeber gegen die branchenunabhängige paritätische Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter ab, die nach dem Gesetz von 1976 das jeweilige unternehmerische Kontrollgremium zur Hälfte besetzen. Im Familien- und Kindschaftsrecht war Simitis unter den Ersten, die das "Kindeswohl" aufgriffen, es zu einer Rechtskategorie entwickelten und so den Anstoß dafür gaben, dass es als Maßstab Eingang in die Gesetze fand. Vielleicht hatte das mit häuslichen Gesprächen zu tun: Seine Frau, eine Psychoanalytikerin, hat zusammen mit Anna Freud gearbeitet.

Zuletzt hat sie ihren Mann in jahrelanger schwerer Krankheit begleitet. Am vergangenen Samstag ist Spiros Simitis im Alter von 88 Jahren in Königsstein (Taunus) gestorben. Er gehört zu den Gelehrten, die die Geschichte der Bundesrepublik geprägt haben.

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