Australien besiegt Frankreich:Entscheidung nach 20 Elfmetern

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Australien feiert erstmals den Einzug unter die letzten Vier. (Foto: Jono Searle/Imago/Aap)

Nach dem längsten Elfmeterschießen der WM-Geschichte zieht Australien ins Halbfinale ein. Frankreich muss sich trotz eines späten Torwart-Wechsels verabschieden - die Euphorie bei den Gastgeberinnen ist riesig.

Von Anna Dreher

Nach dem Anpfiff dauerte es drei Stunden, bis das Suncorp Stadium in Brisbane vom Jubel der fast 50 000 Zuschauer bebte. Vielleicht bebte sogar die Erde ein bisschen, denn in diesem Moment war etwas Historisches geschehen: Australiens Nationalteam, Gastgeber bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft, hatte erstmals das Halbfinale erreicht. Nach dem längsten Elfmeterschießen, das es jemals bei einer WM gegeben hat. Zwanzig Mal war der Ball auf den Punkt gelegt worden, bevor Cortnee Vine mit einem flachen Schuss halbrechts zum 7:6 die Erlösung nach erdrückend spannenden Minuten brachte und all ihre Erleichterung in einen kurzen Sprint über den Rasen legte, bevor sie in einer großen Umarmung mit ihren Mitspielerinnen versank.

Frankreich hatte dieses denkwürdige Elfmeterschießen eröffnet, Trainer Hervé Renard hatte zuvor extra die Torhüterin getauscht, Solene Durand stand statt Pauline Peyraud-Magnin im Kasten. Aber zunächst parierte Mackenzie Arnold für Australien, sie hielt den ersten Versuch von Selma Bacha. Durands Moment kam kurz danach, sie wehrte den Elfmeter von Steph Catley ab. Wendie Renard brachte Frankreich in Führung, Sam Kerr glich umgehend aus. Und nachdem Eve Perissets Schuss von Arnold an den Pfosten gelenkt werden konnte, hätte die Torhüterin höchstselbst bereits das Stadion zum Beben bringen können. Doch sie traf beim fünften Elfmeter den rechten Pfosten.

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Arnold brauchte einen Moment, um sich zu sammeln. Diesen Vorteil konnte Grace Geyoro für Frankreich nutzen. Katrina Gorry musste treffen. Und als handle es sich hierbei um eine Trainingsübung, donnerte sie den Ball rein. Durand war dran, doch die Wucht des Schusses war zu groß. Sakina Karchaoui, Tameka Yallop, Maelle Lakrar und Ellie Carpenter hielten die Spannung aufrecht. Und dann kam die erste strittige Szene: Den Elfmeter von Kenza Dali hielt Arnold. Der Videoschiedsrichter entschied auf Wiederholung, sie hatte die Linie zu früh verlassen. Wieder lastete enormer Druck auf der 29-Jährigen. Doch auch der zweite Versuch Dalis prallte an australischen Torwarthandschuhen ab.

Clare Hunt hätte Australien als Nächste den Sieg bringen können, doch Durand zog im letzten Moment den linken Arm nach oben. Vicki Becho hatte zuvor schon viel Torgefahr ausgestrahlt, doch nun versagten ihr die Nerven, ihr Schuss landete am linken Pfosten. Australiens Trainer Tony Gustavsson mahnte am Seitenrand mit weit aufgerissenen Augen zur Ruhe - und war mit ein paar Minuten Abstand noch immer gerührt von dem, was an diesem Samstagabend in Brisbane geschehen war.

"Ich bin so unglaublich stolz auf mein Team. Der Mut, den sie gezeigt haben. Unglaublich", sagte der euphorische Nationaltrainer. Er habe seinen Spielerinnen vorher gesagt: "Hier geht es nicht um die Medaille, hier geht es um das Herz, das schlägt." Mittelfeldspielerin Emily van Egmond stimmte ein: "Ich bin so so stolz auf meine Mitspielerinnen. Wir haben es verdient."

Kurz nach der Pause brandet lauter Jubel auf - am Platzrand wärmt sich Sam Kerr auf

Die Partie wurde für all jene, die es nicht nach Brisbane geschafft hatten, an vielen öffentlichen Orten gezeigt, unter anderem auf der großen Tennisbühne Rod Laver Arena in Melbourne. Und auch vor dem ehemaligen Olympiastadion in Sydney, wo England später am Abend 2:1 gegen Kolumbien gewann und nun kommenden Mittwoch (12 Uhr, ARD) auf die "Matildas" trifft, versammelten sich Tausende Menschen zum Fanfest. Die Cover der Zeitungen waren gefüllt mit einem Thema: den Matildas. Der Saturday Telegraph titelte "am Rande der Unsterblichkeit" und lieferte für ein gigantisches Poster von Sam Kerr den letzten Teil.

Diejenige, die sich Telegraph-Leser nun vollständig im XXL-Format an ihre Wand kleben können, saß jedoch zunächst auf der Bank. Vor dem Spiel hatte Gustavsson gesagt, wenn Kerr fit sein sollte für 90 Minuten, stehe es völlig außer Frage, dass sie von Beginn an auflaufen werde. "Das Team weiß das. Wir reden hier über Sam Kerr", sagte der Schwede. Vielleicht also war die 29-Jährige, die bei dieser WM erstmals im Achtelfinale gegen Dänemark ab der 80. Minute eingesetzt worden ist, tatsächlich nicht ganz gesund. Vielleicht wollte Gustavsson aber auch kein Gefüge sprengen, das sich bei diesem Turnier in gewisser Weise emanzipiert hat von ihr.

Auch ohne eine der weltbesten Stürmerinnen und Australiens Rekordtorschützin harmonierte die Offensive der Gastgeberinnen um Caitlin Foord, Hayley Raso und Mary Fowler bestens. Nach dem knappen 1:0 gegen Irland zum Auftakt und einer 2:3-Niederlage gegen Nigeria düpierten sie Olympiasieger Kanada mit 4:0 und zogen dann mit einem 2:0 gegen Dänemark ins Viertelfinale ein. Die Französinnen starteten aber dominanter in diese Partie. In den ersten Minuten hatte erst Kadidiatou Diani und dann zweimal Maëlle Lakrar gute Chancen zur Führung. Überhaupt gelangen den Französinnen mehr gefährliche Aktionen - bis zur Schlussphase der ersten Hälfte.

Hatte in der Regelspielzeit jede Menge Torchancen: Australiens Mary Fowler (Mitte). (Foto: William West/AFP)

In der 41. Minute gab es beim Klärungsversuch im eigenen Strafraum zwischen Keeperin Pauline Peyraud-Magnin und Sakina Karchaoui ein Missverständnis, das Emily van Egmond nutzte, um den Ball vors Tor zu Fowler zu passen. Die 20-Jährige hätte aus wenigen Metern nur noch einschieben müssen, aber Elisa de Almeida kam rechtzeitig angerauscht und warf sich als Ein-Personen-Block in den Schuss.

Wenige Minuten nach der Pause brandete lauter Jubel auf - aber der Grund war kein Tor, sondern eine Einblendung auf der Stadionleinwand: Am Platzrand wärmte sich Kerr auf. Während sie ihre Übungen machte, hatten ihre Kolleginnen die nächste Chance. Wieder war es Fowler, die zum Abschluss kam nach einem Abspielfehler von Peyraud-Magnin. Doch statt querzuspielen, versuchte sie es selbst - erneut funkte de Almeida dazwischen. In der 53. Minute wieder lauter Applaus: Kerr lief an der Bank vorbei, ihre Schienbeinschoner in der Hand. Zwei Minuten später kam sie dann ins Spiel und kaum war sie da, hätte sie beinahe direkt das erste Tor des Abends eingeleitet: Nach ihren Querpass geriet der Abschluss von Hayley Raso jedoch zu zentral. Es blieb beim 0:0 nach 90 Minuten.

In der 100. Minute dann war der Ball nach so vielen Anläufen doch mal drin: Nach einem Freistoß flog er gefährlich nahe zu 1,85 Meter großen und extrem kopfballstarken Wendie Renard. Doch die Rekordspielerin der Champions League musste nicht einmal springen - Alanna Kennedy lenkte den Ball aus kurzer Distanz ins eigene Tor. Während die heimischen Zuschauer kurz unter Schock standen, klärte die chilenische Schiedsrichterin María Belén Carvajal Peña die Situation schnell auf: Renard hatte Foord im Zweikampf nach unten gezogen, der Treffer wurde annulliert.

Wie eine Initialzündung wirkte die Szene für die Französinnen dennoch. Der Schuss von Diani in der 107. Minute wurde noch geblockt, doch dadurch bekam Vicki Becho die Chance - und die Australierinnen hatten es den starken Reflexen ihrer Torhüterin Mackenzie Arnold zu verdanken, dass sie sich in diesem Moment nicht aus dem Turnier verabschieden mussten.

Dieses Spiel wurde in den abschließenden Minuten noch derart intensiv, dass es wahrscheinlicher wirkte, dass die Entscheidung noch vor dem Ende der Verlängerung fallen würde. Hervé Renard wollte auf Nummer sicher gehen und tauschte - wie bei der WM 2014 der niederländische Trainer Louis van Gaal - nach zwei Stunden und drei Minuten seine Torhüterin aus. Für Peyraud-Magnin kam Solene Durand. Verhindern konnte aber auch Durand das Ausscheiden nicht.

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