Architekturkritik:Gute Villa, schlechte Villa

Von Oskar Lafontaines Haus bei Saarlouis ist zu lesen, er throne in einem toskanischen Palais und fröne als Bonze seinen Herrschaftsallüren. Wie kann einer von der Linken, darauf spitzt sich der Vorwurf zu, in einer solchen Villa wohnen?

Gerwin Zohlen

Natürlich hat der Vorwurf zunächst einmal etwas typisch deutsch Verklemmtes. Der moralisierende Tonfall will einem in Frankreich oder Italien, Spanien oder den Niederlanden schier unmöglich scheinen. Dort findet man noch Überreste einer bourgeoisen Kultur, die diesseits der politischen Positionen Unterschiede nicht nur toleriert, sondern für selbstverständlich hält.

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Das Objekt der Analyse: Die Villa von Oskar Lafontaine

(Foto: Foto: dpa)

Der bedeutende Architekt und scharfe Moderne-Kritiker Aldo Rossi etwa war Bürgersohn und Kommunist, Kulturkonservativer und Linker zugleich, der Verleger Feltrinelli sogar Millionär und Anarchist. Aber in Deutschland will man es klipp und klar. Ein Tribun hat sich lumpenproletarisch zu behausen, sonst gilt sein Wort als Lüge.

Offensichtlich haben Lafontaines politische Positionen, vor allem aber seine Bücher, Vorträge und Meinungsglossen genug Einkommen gebracht, um solch eine Residenz zu bezahlen. Darin ist er der gelehrigste Enkel seines Urahns August Bebel, der als Verleger mit sozialdemokratischen Verständigungsblättchen Millionär wurde und sich irgendwann ein anständiges Bürgerhaus in der Schweiz errichten ließ.

Investition im eigenen Sprengel - und nicht in der Schweiz

Lafontaine kann man volkswirtschaftlich zugute halten, dass er - anders als die Beckers, Schumachers und eine Heerschar von Prominenten und Rentnern dieser Republik - seine Euro nicht nach Monaco, Mallorca, Sardinien, in die Toskana oder die Schweiz trägt. Er investiert sein Geld im eigenen Sprengel und stützt damit jedenfalls die kommunale Wirtschaft. Und immerhin ist es auch als Fortschritt von Sitte und Anstand zu werten, dass er sich das Haus offensichtlich nicht von der Partei oder der "Firma" hinstellen ließ, wie es in der deutschen Management- und Bankenelite nicht selten ist.

Und doch beschleicht einen ein fahles Gefühl beim Blick auf Lafontaines Villa, denn es geht dabei auch um Architektur. Und hier legt der kritische Blick ein ganz anderes Manko frei, das nicht mit Geld und Größe zu tun hat, sondern mit der Flucht der gesellschaftlichen Elite Deutschlands aus der Architektur. Genau betrachtet nämlich ist Lafontaines Haus mehr Geste als Architektur. Es erinnert an Fototapeten, die Palladio, Arkadien und die Renaissance illuminieren sollen, aber diese Prätention natürlich nicht einlösen.

So darf man es wie beim Schönheitschirurgen fast schon als Kunstfehler bezeichnen, dass über dem Portikus, dem vorgezogenen Eingang, eine Loggia platziert wurde; nach klassischer Ordnung gehört dorthin ein Dach oder ein Giebel mit Thermenfenster. Auch die Fenster sind viel zu groß. Ihr Verhältnis zur Wandfläche stimmt nicht, da sie die Wand ersetzen wollen, die sie doch bloß öffnen sollen. Und die früher auch "kleine Neugier" genannte Firstlaterne obenauf ist ihre eigene Karikatur. Lassen wir das Gezänk darüber, ob der Zaun ungenehmigt errichtet wurde oder nicht; immerhin ist er schmiedeeisern und nicht aus dem Baumarkt um die Ecke.

Ungelenker Zugang

In Rudolf Borchardts "Villa" ist trefflich nachzulesen, dass die Inszenierung des Zugangs ein Herzstück aller Villenarchitektur ist. Hier ist sie schlicht ungelenk und wirkt wie die Zufahrt zum Wohnwagen auf dem Campingplatz. Eine echte Villa zieht sich ins Halblicht, hinter Platanen vielleicht oder in die Tiefe des Grundstücks zurück, aber präsentiert sich nicht so schamlos offensiv.

Das alles legt Mängel offen, die diesmal nicht primär der Bauherrschaft anzulasten sind, sondern den Architekten. Wie soll ein Bauherr gewinnen können, wenn die Architekten nur nach Musterbuch oder mit dem Computer Bildchen animieren, die sie den bunten Magazinen entnommen haben? Es scheint das Pech Lafontaines zu sein, dass er sich nicht, wie Gerhard Schröder oder Edmund Stoiber, in die völlige Unauffälligkeit und architektonische Anonymität eines Reihenhauses zurückzog.

Hier aber wird der wirkliche Grund der Malaise sichtbar, dass nämlich die Elite der Gesellschaft in der Bundesrepublik eine kollektive Flucht aus der namhaften Architektur unserer Zeit angetreten hat. Man kann ohne weiteres die Regel aufstellen, dass diejenigen, die es materiell geschafft haben, sich eher ein Haus der Jahrgänge bis 1930 kaufen, als eines bei einem zeitgenössischen Architekten in Auftrag zu geben.

Wie wohnen Grass, Walser, Fest und Peter Handke?

Wie wohnen denn Günter Grass und Martin Walser, Joachim Fest und Michael Stürmer, Botho Strauß und Peter Handke? Es muss ja nicht gleich Jürgen Schrempp sein, auch die gehobenen Manager anderer Firmen verdienen genug, um Architekten von heute zu beauftragen.

Doch während Architekturstudenten in den Bildbänden versinken, die über die Ikonen der frühen Moderne publiziert werden, fallen einem aus dem Gedächtnis nur ein paar der bekannteren Architekten wie Heinz Bienefeld oder Oswald Mathias Ungers, Hans Kollhoff, David Chipperfield oder Christoph Sattler ein, die in jüngerer Zeit private Wohnhäuser gebaut haben. Diese kulturelle Aufgabe der Architektur scheint heute mit einem Tabu belegt zu sein.

Umstrittene Architektur

Gewiss, man liest und hört jetzt öfter von (Kunst-)Agenten und Medizinern, Rechtsanwälten und Unternehmern, die den Tanz mit einem heutigen Architekten aufzunehmen bereit sind. Aber trotz solcher gewachsenen Aufmerksamkeit für die Architektur gilt in der Gesellschaft immer noch, was Hans Magnus Enzensberger unnachahmlich auf die Formel brachte, dass Architekten zwar besser verdienen als Dichter, dafür aber auch "vom schwelenden Hass all derjenigen verfolgt werden, die gezwungen sind, in ihren Werken zu hausen".

Das ist scharf formuliert und legt dennoch den Finger auf die faule Stelle. In den gebildeten Schichten der Gesellschaft ist das Misstrauen gegenüber den Architekten immer noch groß; bestenfalls begegnet ihnen Gleichgültigkeit, nur selten mal wirkliches Interesse, das über die Person hinweg ihre Arbeit betrifft.

Lafontaine hat diesen Konsens gebrochen und wird dafür nun tüchtig verhauen. Aber warum soll man ihm den Versuch, etwas namhaft Eigenes von heute hinzustellen, zum Vorwurf machen? Zu mehr als einer Kulisse hat's noch nicht gereicht. Weiter üben, möchte man also rufen, beim nächsten Mal mit einem wirklichen Architekten.

Der Autor ist Architekturkritiker in Berlin; sein bekanntestes Werk ist "Auf der Suche nach der verlorenen Stadt" (Nicolai'sche Verlagsbuchhandlung).

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