Heribert Prantl beleuchtet ein Thema, das Politik und Gesellschaft (nicht nur) in dieser Woche beschäftigt.
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24. April 2024
Prantls Blick
Die politische Wochenschau
Prof. Dr. Heribert Prantl
Kolumnist und Autor
SZ Mail
Sehr geehrter Herr Mustermann,
als ich, es ist lange her, ein kleiner Ministrant in der katholischen Pfarrei Nittenau in der Oberpfalz war, habe ich etwas getan, wofür ich mich noch heute geniere: Ich habe an der Kirchentür, gleich hinter dem Weihwasserkessel, die Neue Bildpost verkauft. Das war damals so eine Art katholische Bild-Zeitung, die sich, unter dem Mantel der Christlichkeit, die Werbung für die C-Parteien zur Aufgabe gemacht hatte. In den Kinos lief damals der Film "Denn sie wissen nicht, was sie tun", in dem James Dean unter der Regie von Nicholas Ray als jugendlicher Rebell um Liebe und Anerkennung kämpft. Wir Ministranten kämpften damals unter der Regie der Kapläne Frischholz, Gietl und Schiedermeier darum, wer die meisten Exemplare der Neuen Bildpost an die Kirchgänger bringt.

Das war ein einträgliches Geschäft, weil dabei so viel an Trinkgeld abfiel, dass man sich davon mehr als eine Wurstsemmel mit Essiggurke kaufen konnte. Aber wir wussten auch nicht, was wir da tun: Der Inhalt der Semmel interessierte uns mehr als der Inhalt der Neuen Bildpost. Erst Jahre später wurde mir klar, dass dieses Organ nichts anderes war als ein immerwährender Wahl-Hirtenbrief, der einen konservativen bis reaktionären Katholizismus propagierte und zu diesem Zweck die Kirchgänger davor warnte, sozialdemokratisch zu wählen. Wie gesagt, das ist lange her – und die Neue Bildpost wurde dadurch bestraft, dass sie heute nur noch in einer kleinen Auflage existiert.

Wahlbeeinflussung?

Aber an diese wurstsemmelfixierten Anfänge meines politischen Engagements habe ich mich erinnert, als ich von der neuesten Erklärung der katholischen deutschen Bischöfe hörte. Ich habe mich erinnert an die Zeiten, in denen die Bischöfe unverhohlen und ex cathedra für die CDU und die CSU geworben haben. Die einschlägigen Hirtenbriefe wurden, jeweils kurz vor einer Wahl, tatsächlich von der Kanzel verlesen. Der letzte dieser Art kam zur Bundestagswahl vom 5. Oktober 1980: Es war die Wahl, in der Helmut Schmidt als Bundeskanzler bestätigt wurde – und sich über die versuchte Wahlbeeinflussung durch die Katholische Kirche tierisch ärgerte. Da war ich gerade mit dem Jurastudium fertig und war der Meinung des Politologen Theodor Eschenburg, der darüber in der ZEIT schrieb: rechtlich zulässig, politisch taktlos, taktisch unklug.

Ein Hirtenbrief dieser Art ist die Erklärung aller katholischen Bischöfe, die sich gegen die AfD richtet, wirklich nicht. Sie ist eine Erklärung für die Menschenwürde und von beeindruckender Eindringlichkeit: "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar", lautet die Überschrift. Die Bischöfe belassen es nicht dabei. Sie buchstabieren durch, was das bedeutet: "Rechtsextreme Parteien und solche, die am Rande dieser Ideologie wuchern, können für Christinnen und Christen daher kein Ort ihrer politischen Betätigung sein. Die Verbreitung rechtsextremer Parolen – dazu gehören insbesondere Rassismus und Antisemitismus – ist überdies mit einem haupt- und ehrenamtlichen Dienst in der Kirche unvereinbar."  Über die Details und die Auswirkungen der Erklärung im Arbeitsrecht schreibe ich in meinem heutigen SZ-Plus-Text "Die heilige Brandmauer". Das ist für den kirchlichen Bereich das Verbot, das man sich auch für den politischen Bereich wünscht.

Die AfD will Menschen mit Migrationshintergrund, sie will Menschen mit Behinderung, sie will geflüchtete Menschen absondern, aussondern oder abschieben. "Die Würde des Menschen ist unantastbar": Die AfD will den Fundamentalartikel 1 des Grundgesetzes mit einem bösartig-gefährlichen Satz ergänzen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar - aber nur, wenn die AfD diesen Menschen für würdig erachtet." Wenn die katholischen Bischöfe einhellig und einstimmig Widerstand dagegen leisten, ist das vorbildlich. Man kann auf einen solchen Katholizismus stolz sein. Ich bin es zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder.
SZPlus Prantls Blick
Die heilige Brandmauer
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Ich wünsche Ihnen eine Woche, in der Ihnen die Frühlingsboten in der Natur gute Laune machen.
Heribert Prantl
Kolumnist und Autor der Süddeutschen Zeitung
SZ Mail
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Prantls Leseempfehlungen
Engel, zauberhaft absonderlich
Es heißt, dass selbst ungläubige Menschen an Engel glauben. Den Taufspruch aus Psalm 91 lieben auch Eltern, die ihre Kinder nicht taufen lassen: "Der Herr hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf all deinen Wegen." Der Engel – er ist die Chiffre für den Wunsch, behütet zu sein. Wenn man dann freilich den ganzen Psalm nachliest, dann schüttelt es einen. Da geht es um die Albträume des Lebens, da ist die Rede von den Pfeilen des Tages, den Seuchen des Mittags und dem Grauen der Nacht. Wer sich für den Kosmos der Engel interessiert, der lese das Buch des US-amerikanischen Essayisten Eliot Weinberger. Es heißt "Engel & Heilige", ist von Beatrice Faßbender fein übersetzt und im Berenberg-Verlag in gediegen-schöner Aufmachung erschienen. Es ist ein geheimnisvolles, ein poetisches und skurilles, ein zauberhaft absonderliches Buch.

Eliot Weinberger: Engel & Heilige. Die Originalausgabe ist 2020 in New York erschienen, die deutsche Übersetzung 2023 in zweiter Auflage im Berliner Verlag Berenberg. Das Buch hat 268 Seite und kostet 28 Euro.
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Theorie und Praxis des guten Orts
Der amerikanische Stadtsoziologe Ray Oldenburg hat 1989 das Buch "The Great Good Place" geschrieben, in dem er die von ihm entwickelte "Theorie des guten Orts" darlegt. Menschen, so sagt er, brauchen nicht nur ihr Zuhause als den ersten und ihren Arbeitsplatz als den zweiten Ort, an dem sich ihr Leben abspielt, sondern auch einen dritten – an dem sie sich treffen und kommunizieren können. Oldenburg hat bei den "dritten Orten" an Einkaufszentren, Bars und die Starbucks-Cafés gedacht. Ein ganz besonderer dritter Ort sind Buchhandlungen. Sie sind Orte der blätternden und lesenden Versenkung - und sie sind Orte der animierten Kommunikation. Gute Demokratie heißt: lesen, nachdenken, reden, diskutieren, wieder nachdenken – und dann handeln. Büchereien und Buchhandlungen sind Orte für Kommunikation und Erkenntnis.

Es ist daher ungut, wenn immer mehr Buchhandlungen sterben, weil die Inhaber keine Nachfolger mehr finden. Warum das so ist: "Eine Viertagewoche und dreimal im Jahr in den Urlaub – das ist eher nicht drin", so sagt es Beate Scherzer, Inhaberin der Buchhandlung Proust in Essen, die seit vier Jahren Nachfolger sucht. Max Florian Kühlem beschreibt in der Freitagsausgabe der SZ Lust, Freud und Leid der Buchhändler in Deutschland. Was kann, was soll, was muss passieren?
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