Bäckerhandwerk gegen Aldi:Wahrheitssuche im Brötchenkrieg

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Wann darf man für seine Brötchen mit "frisch gebacken" werben? Darum geht es gerade in einem Streit zwischen Bäckern und Aldi-Süd. (Foto: Federico Gambarini/dpa)

Das Bäckerhandwerk verklagt Aldi-Süd, wegen der Behauptung, dessen Automaten würden "frisch backen". Vor Gericht fragt ein Brotforscher, ob die Verbraucher noch ganz knusprig sind.

Von Jannis Brühl, Duisburg

Der Anwalt von Aldi hält einen Schnellhefter hoch, darin ein Foto: zwei Baguettes, eins minimal dunkler als das andere. Er sagt: "Wenn ich in Frankreich eins kaufe, sieht das so ähnlich aus." Jürgen-Michael Brümmer, der in der Mitte des Gerichtssaals auf dem Zeugenstuhl sitzt, antwortet amüsiert: "Da würde ich aber den Bäcker wechseln."

Brümmer ist in bester Laune und beigefarbenem Anzug erschienen. Er sieht aus, als hätte er in seinem Leben schon einige Brote gegessen, und er ist ja auch eine Koryphäe unter Deutschlands Brotforschern. Eine Art Max Planck der aufgehenden Hefe, dessen Überlegungen zum "Übergang vom Teig zum Krumen" schon fast etwas Metaphysisches haben. An diesem Dienstag soll er im Landgericht Duisburg helfen, den Streit zwischen Deutschlands Traditionsbäckern und Aldi-Süd zu beenden.

Der Brot-Experte arbeitete lange für die Bundesanstalt für Getreide-, Kartoffel- und Fettforschung in Detmold, er revolutionierte der Fachpresse zufolge die "Systematisierung der Sauerteig-Verwendung".

Der Experte weiß: "Zu jedem Teigling baut man eine Beziehung auf."

Nun ist Brümmer Berater, nach Duisburg ist er als Gutachter gekommen. Es geht um die Frage, ob Aldi mit dem Slogan "frisch gebacken" für seine Brötchen werben darf, obwohl die sogenannten Teiglinge, die Kunden per Knopfdruck warm aus den Automaten holen, vorgebacken sind. Brümmer soll ein für alle mal klären: Wo fängt Backen an?

Das ist nicht so einfach. Brümmer maß bei Aldi, wie warm die Teiglinge vor und nach dem Automaten waren, welchen Einfluss die Raumtemperatur haben könnte, und prüfte die Sensorik - mit Fingern und Zähnen: Krumenelastizität und Krumenkaubarkeit sind die Stichworte. Er sagt Romantisches: "Zu jedem Teigling baut man eine Beziehung auf." Und Profanes: "Verfahrenstechnisch ist ein Baguette die Aneinanderreihung von Brötchenteilen."

Gegen Aldi-Süd geklagt hat der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks. Seit 2010 beschäftigt der Streit das Gericht, seither fanden erst drei Termine statt. Beim ersten beschloss der Richter, direkt zum nächsten Aldi zu fahren, um die Automaten zu begutachten. Der Konzern-Anwalt verhinderte das erst in der Filiale.

Für die Bäcker geht es um viel. In mehr als 1000 Aldi-Filialen beschleunigen die Automaten die Krise des Backhandwerks. Laut Zentralverband machen jedes Jahr 300 bis 400 Bäckereien dicht.

Brümmers Gutachten fällt differenziert aus: Baguettes und Brote von Aldi wiesen teils "thermische Defizite" auf. Die Brötchen und das Kleingebäck seien dagegen "verkehrsfähig", also wohl auch gebacken. Er gibt aber zu, dass seine Standards möglicherweise zu hoch sind: "Der Verbraucher akzeptiert die Krume nicht erst so, wie der Fachmann es sich wünscht." Heißt: Der Bäcker mag es dunkel und resch, der Kunde aber weich und hell. Da kann auch Brümmer nicht mehr weiterhelfen. Im Oktober will das Gericht urteilen.

© SZ vom 08.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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