Krieg in Syrien:Bundesanwaltschaft beobachtet die türkische Offensive in Nordsyrien

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Türkische Soldaten patrouillieren in der Kurden-Grenzstadt Tal Abyad. (Foto: Bakr Alkasem/AFP)
  • Schon seit 2011 ermitteln die Karlsruher Juristen wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im syrischen Bürgerkrieg.
  • Nun beobachten sie nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR auch die türkische Invasion.
  • Amnesty International hat nach eigenen Angaben Beweise für "rücksichtslose Angriffe in Wohngebieten", unter anderem auf eine Schule.

Von Ronen Steinke, Berlin

Angesichts der türkischen Militäroffensive in Nordsyrien verfolgt auch die deutsche Bundesanwaltschaft aufmerksam die Berichte über Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit dort. Schon seit 2011 ermitteln die Karlsruher Juristen wegen solcher massiven Straftaten im syrischen Bürgerkrieg, auch haben sie schon Haftbefehle gegen Angehörige des syrischen Regimes erwirkt. Nun beobachten sie nach Informationen der Süddeutschen Zeitung auch die türkische Invasion, die seit dem 9. Oktober läuft. Dies könnte zum einen brisant werden, weil Deutschland noch nie solche Vorwürfe gegen einen Nato-Partner erhoben hat. Zum Zweiten wäre ein Ermittlungsverfahren in Karlsruhe - wenn es dazu kommen sollte - auch keine rein akademische Übung, denn manche der potenziell Beschuldigten könnten alsbald in Deutschland dem Zugriff der Behörden unterliegen. Viele Türken haben familiäre Beziehungen nach Deutschland. Außerdem könnten neben möglichen Tätern auch Opfer nach Deutschland kommen, etwa weil sie Zuflucht suchen. Ähnlich war es schon im Fall der Folterverbrechen des syrischen Assad-Regimes: Die Bundesanwaltschaft hat hierzulande viele Zeugen zur Verfügung, die ihr helfen.

Eine deutsche Zuständigkeit für solche Ermittlungen gegen das türkische Militär und verbündete Milizionäre besteht auch, sie ergibt sich aus dem deutschen Völkerstrafgesetzbuch. Amnesty International hat nach eigenen Angaben Beweise für "rücksichtslose Angriffe in Wohngebieten", unter anderem auf eine Schule. Dies wäre nach deutschem Recht mit drei bis 15 Jahren zu bestrafen; falls Menschen getötet werden, kann die Strafe lebenslang sein. Geschehen Verbrechen "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung", wie es im deutschen Völkerstrafgesetzbuch heißt, dann dürfen die Karlsruher Ermittler sich weltweit einschalten, selbst wenn kein Bezug zu Deutschland besteht. Seit 2009 hält die Bundesanwaltschaft für diesen Zweck ein eigenes Referat vor, eine "War crimes unit" aus neun Juristen.

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Der US-Präsident hebt deshalb die Sanktionen gegen die Türkei auf und spricht von einem "großen Erfolg" in Syrien. Ein US-Gesandter spricht von möglichen Kriegsverbrechen bei dem Vorstoß.

Den juristischen Vorwurf des Angriffskrieges braucht die Regierung in Ankara hingegen nicht zu fürchten. Außenminister Heiko Maas (SPD) hatte den türkischen Vorstoß in Nordsyrien am Sonntag zwar völkerrechtswidrig genannt, die Attacke sei weder legitimiert noch "legitimierbar". Auch der US-Verteidigungsminister Mark Esper sprach am Donnerstag von einer "ungerechtfertigten" Invasion. Nach deutschem Recht kann das Verbrechen eines Angriffskrieges allerdings nur verfolgt werden, wenn Deutschland involviert ist.

Zu Berichten über Gräueltaten syrischer Rebellen in Nordsyrien, die mit der Türkei verbündet sind, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan auf Nachfrage von internationalen Journalisten: Es gebe dort Kämpfer, "die solche Fehler machen. Meine Religion erlaubt so etwas nicht". Er wies aber jede Verantwortung von sich und betonte, das "Heer" sei dabei, "sich dieser Sache anzunehmen". Man wolle selber herausfinden, wer die Verantwortlichen seien.

© SZ vom 25.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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