Kommunalwahl in Milbertshofen-Am Hart:Einer von uns

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Enrico Bianco steht weit oben auf der Kandidatenliste seiner Partei. Damit ist der Italiener eine Ausnahmeerscheinung in seinem Viertel, in dem Deutsche ohne Migrationshintergrund in der Minderheit sind. Integration beginnt für ihn vor der Haustüre

Von Jerzy Sobotta

Brezen hat Enrico Bianco schon als Kind gegessen. Vielleicht fühle er sich auch deshalb in München so wohl, sagt der 34-jährige Italiener. Er sitzt in seinem Lieblingscafé an der Kohlstraße und schaut auf seine Pasta. Die sei hier so gut wie zu Hause. Aber eigentlich sei München ja jetzt sein Zuhause - zumindest, wenn es nicht gerade ums Essen geht. Seit fünf Jahren lebt Bianco in München. Lang genug, um sich einzuleben. Und vor allem: um sich einzumischen, sagt er.

Darum wird Biancos Name im März auf den Wahlzetteln auftauchen: Weit hinten auf der Stadtratsliste der FDP. Dafür weit vorne auf dem Wahlzettel für den Bezirksausschuss (BA) in Milbertshofen-Am Hart, wo er wohnt. Dort ist er der Zweitplatzierte der FDP. Das ist keineswegs ein sicherer Platz, denn die Partei hat hier derzeit nur einen einzigen Sitz - aber immerhin ist es auch kein aussichtsloser. Bianco ist in Milbertshofen-Am Hart der einzige Name eines Migranten, der auf dem Wahlzettel an prominenter Stelle auftaucht. Dabei sind Deutsche ohne Migrationshintergrund hier eine Minderheit, ihr Anteil beträgt 40 Prozent. Ausländer gibt es genauso viele, hinzu kommen 20 Prozent Deutsche mit Migrationshintergrund.

Bei den anderen Parteien muss man nach ausländisch klingenden Namen lange suchen: Bei den Grünen fehlen sie völlig, bei SPD und CSU findet sich auf den ersten zehn Listenplätzen jeweils einer. Bei der CSU immerhin einige mehr auf den hinteren Listenplätzen. Milbertshofen-Am Hart ist dabei kein Einzelfall: Viel anders sieht es weder im Hasenbergl noch im aktuellen Stadtrat aus. Der Münchner Integrationsbericht kam zum Ergebnis, dass nicht einmal jeder zehnte Stadtrat einen Migrationshintergrund hat - dafür aber vier von zehn Münchnern. Nimmt man OB-Kandidatin Kristina Frank (CSU) beim Wort, dann wirft das große Fragen auf. Sie sagte neulich: "Für die Kommunalpolitik gilt das, was für jeden Bereich der Politik in einer repräsentativen Demokratie gilt: Wer die Hälfte der Gesellschaft repräsentiert, sollte auch mindestens zur Hälfte repräsentiert sein." Gilt auch für Migranten, was Frank über Frauen sagt?

Von vielen der größten Münchner Probleme seien Migranten am stärksten betroffen, findet Enrico Bianco. "Die größte Hürde ist der Einstieg", sagt er. Das gelte für die Politik genauso wie fürs Wohnen oder den Arbeitsmarkt, das weiß er aus eigener Erfahrung. Im städtischen Projekt "Amiga" hilft er ausländischen Arbeitskräften bei der Jobsuche und der Anerkennung ihrer Abschlüsse. Bianco hat sich selbst schon unzählige Male auf Jobs bei staatlichen Stellen beworben, zuletzt als Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde. Mit gutem Deutsch und einem Masterabschluss in Politik von der Universität Padua fühlte er sich qualifiziert genug. "Aber in der bayerischen Verwaltung, da zählt nur ein Diplom aus Hof", sagt Bianco. Und was ist schon eine der ältesten Universitäten der Welt, gegen die eine bayerische Hochschule für den öffentlichen Dienst? Neben Amiga arbeitet Bianco nun als Zugbegleiter bei der Bahn, bei der er in zehn Wochen eine Umschulung machen konnte. "Wieso gibt es so was nicht bei der Stadt München?", fragt er. Seine kommunalpolitische Forderung heißt: Bei Ausländern soll die Stadt als Arbeitgeberin nicht auf Titel und Abschlüsse schauen, sondern auf die Berufserfahrung und den Lebenslauf.

(Foto: SZ)

Viele dieser Probleme lassen sich nicht auf Stadtviertelebene lösen. Doch dort sind die Wege am kürzesten: Kirchengemeinden, Sport- und Kulturvereine, alle pflegen Kontakt zum BA, melden sich zu Wort, wenn es Probleme gibt. Von den migrantischen Organisationen oder Moscheegemeinden dagegen hört man bei Sitzungen selten etwas. Wo soll Integration anfangen, wenn nicht direkt vor der Haustüre?

Eine der wenigen Ausnahmen in Milbertshofen-Am Hart war bisher Delija Balidemaj (Grüne). Er ist Bezirksrat und seit sechs Jahren im Stadtviertelgremium der Stellvertreter des Stellvertreters des Vorsitzenden (er zieht bald nach Feldmoching und kandidiert nun dort). Balidemaj kam vor 23 Jahren als Flüchtling aus Montenegro nach München, als Jugoslawien zerfiel. Inzwischen ist der IT-Spezialist deutscher Staatsbürger, pflegt aber den Kontakt in die kosovarische Community. "Das Thema Migration kommt im Bezirksausschuss fast gar nicht vor", sagt er. Man versuche nicht, auf die Gemeinden zuzugehen und über deren Probleme ins Gespräch zu kommen. "Wo kein Kontakt ist, da läuft auch nichts", sagt Balidemaj. Innerhalb der Parteien mangele es zudem an Rückhalt für Migranten.

Auch bei der örtlichen SPD zeigt man keine besondere Aufmerksamkeit für Migranten. Auf Anfrage heißt es, man freue sich, wenn sie mitmachen, aber über gezieltere Wahlkampagnen habe man sich noch keine Gedanken gemacht. Außerdem könnten viele Ausländer nicht wählen. Doch das stimmt nur zum Teil, denn wählen dürfen bei der Kommunalwahl im März auch Ausländer aus EU-Staaten. Sie machen rund 220 000 der gut 430 000 Münchner Ausländer aus, also etwas mehr als die Hälfte.

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Das Desinteresse könnte sich ausgerechnet für die SPD als großer Fehler herausstellen: Unter Deutschtürken beispielsweise war sie bei der letzten Bundestagswahl mit 35 Prozent der Stimmen die beliebteste Partei. Doch diese Wähler verliert die SPD in den vergangenen Jahren massiv an die CDU/CSU. Zu diesem Ergebnis kam vor zwei Jahren das Integrationsbarometer des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR).

Vernachlässigt wird nicht nur die Pflege der alten Wählergruppen, sondern auch die Mobilisierung von neuen. Die jungen Migranten aus der EU seien anders als die Gastarbeiter, sagt Enrico Bianco. "Seit der Finanzkrise kommen sehr viele gut ausgebildete Leute: Ingenieure, Architekten, Informatiker." Das sei eine Chance, sagt Bianco: für die FDP und für ihn selbst. Diese Wähler wolle er als Liberaler gezielt ansprechen. Während er langsam eine Nudel um seine Gabel dreht, kommt der Kellner herein. Die beiden unterhalten sich kurz auf Italienisch. Ob er im März zur Wahl gehen werde? "Ja, natürlich. Ich wähle Enrico", sagt der Kellner in gebrochenem Deutsch. Er grinst: "Weil er ist einer von uns."

© SZ vom 24.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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